Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Weihnachten - Am Tag (Joh 1,1-5. 9-14)

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,1-5. 9-14)

Man nennt sie die drei großen Buchreligionen, das Judentum, das Christentum und den Islam. Drei Weltreligionen, deren Fundament ein Buch ist: die hebräische Bibel, die beiden Testamente des ersten und zweiten Bundes und der Koran. Drei Religionen des Buches - das ist richtig und das ist wichtig. Das verbindet diese drei Religionen, die alle Abraham als ihren Stammvater ehren.

Und doch ist es auch nur halbrichtig - zumindest, was das Christentum angeht.

Liebe Schwestern und Brüder,

wir sind nur bedingt eine "Buchreligion".

Die Grundlage unseres Glaubens ist nicht ein Buch, das einmal geschrieben wurde oder gar vom Himmel gefallen wäre. In einem Buch finden sich festgefügte Sätze, ausformulierte Lehren und ewige Prinzipien. An solchen Prinzipien werde ich dann aber gemessen und beurteilt. Und nicht selten stehen sie deshalb am Ende über dem Menschen.

Ein Buch kann sehr unmenschlich, sehr unbarmherzig sein.

Unser Fundament ist aber nicht einfach ein Buch. Als Paulus vom Evangelium sprach, war noch kaum ein Wort davon wirklich niedergeschrieben. Es geht nicht um etwas, das man in ein Regal hineinstellen kann, um es dann auf ewig zu besitzen - nicht um ein Buch.

Die Grundlage unseres Glaubens ist das Wort. Eigentlich sind wir eine "Wortreligion" - und das ist ein kleiner, aber nicht unbedeutender Unterschied.

Ein Wort nämlich wird gesprochen, auf einen anderen hin, auf einen, der hören und verstehen soll, der es in seiner jeweiligen Situation neu aufnehmen und neu begreifen kann. Ein Wort ist immer etwas Lebendiges, will immer wieder neu gesagt - und vor allem - es will immer wieder neu verstanden werden.

Im Anfang war nicht das Buch. Im Anfang war das Wort, Gottes Wort, das von ihm ausgeht, durch das die Welt geschaffen wurde und das in Jesus Christus Mensch geworden ist: sein Wort, das nun mitten unter uns Menschen ist - in die Welt hinein und auf uns Menschen hin zugesagt.

Mit dieser Botschaft konfrontiert uns die Liturgie an jedem Weihnachtsfest. Das ist ihre Weihnachtsbotschaft. Sie erinnert uns an das Fundament unseres Glaubens. An ein Fundament aber, das Konsequenzen hat, Konsequenzen mindestens in zweierlei Hinsicht.

So lebendig wie dieses Wort, so lebendig ist nämlich auch unser Glaube. Er ist nie statisch, nie zementiert für ewige Zeiten. Er will täglich neu gelebt und erlebt, immer wieder erneuert werden - so wie ein Wort, das in eine veränderte Situation auch neu hineingesprochen werden muss. Von einer unveränderlichen, einer unwandelbaren Kirche, kann deshalb nie die Rede sein. Immer wieder muss sie erneuert werden.

Und sie muss den Menschen im Blick haben. Gottes Wort ist nämlich Mensch geworden. Daran muss all unser Handeln als Christ immer neu Maß nehmen: nicht an alten Prinzipien, sondern an diesem menschgewordenen Gotteswort. Gott selbst macht nämlich deutlich, dass sein Wort menschlich, gütig, barmherzig, mitfühlend und verständnisvoll ist. In Jesus Christus, in seinem Beispiel und durch seinen Geist ist es mitten unter uns Menschen.

Deshalb bedeutet Christus zu folgen auch nicht das Aufsagen von Lehrsätzen oder das Auswendiglernen von Katechismusantworten. Ihm zu folgen heißt, Jesu Beispiel in das eigene Leben zu übersetzen. Und es bedeutet, sich jeden Tag neu von diesem Wort treffen zu lassen. Das können wir nämlich! Es begegnet uns schließlich auch heute. Allem voran in den Menschen, in denen er uns, in denen uns der menschgewordene Gottessohn selbst gegenübersteht. In jedem anderen Menschen begegnet er uns, sehen wir in die Augen jenes Kindes in der Krippe und werden von diesem Kind neu angesprochen.

Versuchen wir es zu vernehmen, zu hören und zu verstehen - und das nicht nur zur Weihnachtszeit ...

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 25. Dezember 2011 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)