Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Predigt am Karfreitag
Überall gibt es augenblicklich Friedensgebete.
Liebe Schwestern und Brüder,
glauben Sie, dass Wladimir Putin das beeindruckt?
Was genau haben die Menschen davon, die in Mariupol oder Charkiw um ihr Leben bangen, wenn bei uns Kerzen angezündet werden? Wir stehen doch letztlich vollkommen ohnmächtig da.
Und eigentlich ist es nicht viel anders wie damals auf dem Schulhof, wenn einer der Halbstarken einen Schwächeren verprügelt hat und alle anderen nur dastanden und verschämt auf den Boden schauten, immer in der Hoffnung nicht selbst auch noch etwas abzubekommen.
Friedensgebete helfen sehr wohl, aber sie helfen vor allem uns! Sie geben uns das gute Gefühl, doch etwas getan zu haben. Dabei sind sie letztlich nur Ausdruck all unserer Hilflosigkeit.
Mir fällt es augenblicklich schwer, Fürbitten zu sprechen oder vom Wunsch nach Frieden auf Erden zu singen. Mir helfen im Augenblick keine Friedensgebete. Mir ist die biblische Tradition der Klagelieder jetzt sehr viel näher.
Das Volk der Bibel wusste noch darum, dass es manchmal ganz einfach angezeigt ist, all seiner Trauer, seiner Klage und seiner Wut wirklich Ausdruck zu verleihen. Im Buch der Psalmen gibt es sehr viel mehr Texte die all das Unverständnis und all die Klage diesem Gott vor die Füße kippen, viel mehr, als alle Hymnen und aller Lobpreis zusammengenommen. Israel wusste darum, dass manchmal nur noch das, nur genau das noch hilfreich ist.
Auch ich will diesem Gott momentan nur noch ins Gesicht schreien, wie er das zulassen kann und warum er nichts tut.
"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"
Das ist der Anfang von Psalm 22. So hat Jesus von Nazareth am Kreuz gebetet. Auch er hat Zuflucht zu einem Klagelied genommen. Und dass dies nicht nur fromme Erzählung sondern auch historische Wirklichkeit ist, ist höchst wahrscheinlich.
Und wir können vielleicht sogar ausmachen, wie weit er diesen Psalm gebetet hat, wie weit er mit diesem Gebet vor seinem Sterben noch gekommen ist. Zum Schluss - so heißt es in den Evangelien - soll er nämlich Elia gerufen haben:
"Elia ta" - Elia komm!
Möglicherweise aber war dieser Ausruf gar kein Ruf nach Elia. Das Ende des elften Verses von Psalm 22 lautet nämlich ganz ähnlich. Dort heißt es: "Eli atta".
Und das bedeutet übersetzt: "Du bist mein Gott".
Möglicherweise ist Jesus einfach bis zu dieser Stelle mit seinem Gebet gekommen. Nicht "Elia ta" sondern "Eli atta" - Du bist mein Gott.
Weiter komme ich augenblicklich auch nicht. Ich weiß nicht, was dieser Gott vorhat.
Ich weiß nicht, warum er immer wieder durchgeknallte Machthaber gewähren lässt. Ich stehe vor ihm und will ihn anschreien, ihm ins Gesicht schreien, was er sich denn dabei denkt! Warum greifst Du nicht ein? Warum lässt Du all das geschehen?
Ich komme nicht weiter, als zu der Stelle, bis zu der wohl auch Jesus von Nazareth in seinem Sterben gekommen ist. Ich schreie ihn an, aber ich stehe immer noch vor ihm. Denn Du bist doch mein Gott von Kindheit an. Wie kannst Du nur?
(gehalten am 15. April 2022 in der Kirche Heilig Kreuz, Ettenheim-Münchweier)