Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Lk 9,18-24)
In jener Zeit, als Jesus in der Einsamkeit betete und die Jünger bei ihm waren, fragte er sie: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Messias Gottes. Doch er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen. Und er fügte hinzu: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er wird getötet werden, aber am dritten Tag wird er auferstehen. Zu allen sagte er: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten. (Lk 9,18-24)
Und dann ist plötzlich alles 'rum, dann ist auf ein Mal alles vorbei.
Wochenlang hat man geschuftet und sich keine freie Minute gegönnt, hat nur noch das eine Ziel vor Augen gehabt. Und dann kommt die Prüfung, ich sitze dem Prüfer gegenüber - 15, 20 Minuten - und alles ist vorbei.
Ein wenig ausgelassene Feier, ausgiebig geschlafen, und man steht plötzlich vor einem riesigen Loch. Alles, was wochenlang so unheimlich wichtig war, ist auf einmal wie weggefegt. Und ich stehe in einem Zimmer, das seit Tagen nicht mehr aufgeräumt wurde, sehe plötzlich die ganze Arbeit, die über den Vorbereitungen liegen geblieben ist, und muss feststellen, dass auch nach der Prüfung das Leben weitergeht.
Es gibt ein Leben auch nach der Prüfung.
Und diesen Satz,
liebe Schwestern und Brüder,
können Sie jetzt beliebig nach allen Richtungen hin variieren. Es sind ja nicht nur Prüfungen, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Da ist das Jubiläum, der runde Geburtstag, auf den man hinfiebert und auf den hin man alle erdenklichen Anstrengungen unternimmt, da bauen wir ein neues Pfarrheim und alle Gedanken kreisen monatelang um nichts anderes als Finanzierungspläne und Eigenleistungen.
Und dann ist die Arbeit weitgehend fertig der lang erwartete Geburtstagstermin liegt hinter uns, und plötzlich stellen wir fest, was in der Zwischenzeit alles liegengeblieben ist.
Es gibt ein Leben auch nach dem Jubiläum - und genauso auch nach dem Pfarrheimneubau.
Wir tappen immer wieder in die gleiche Falle, stellen ein Ereignis so in den Vordergrund, dass plötzlich alles andere ausgeblendet ist, und wundern uns dann, dass wir große Schwierigkeiten haben, die Dinge anschließend wieder auf die Reihe zu kriegen.
Warum das so ist, warum wir eine Sache oft so hochstilisieren, dass alles andere dahinter zurückbleibt, das mögen in allen Einzelheiten unsere Psychologen ergründen.
Einen Grund aber, den glaube ich zu kennen. Und der scheint mir sehr wahrscheinlich eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen.
Ich glaube nämlich, dass wir manchmal genau davon träumen: Wir träumen manchmal davon, nur noch eine Sache machen zu müssen und dann tatsächlich alles geschafft zu haben: Nur noch eine Prüfung und dann kann nichts mehr schief gehen; nur noch ein Bauprojekt und dann ist alles in Ordnung; nur noch eine Herausforderung und das Leben ist gemeistert.
Wir träumen eigentlich ganz oft davon. Es wäre doch so schön...
Aber es ist ein Träumen, das schon Jesus seinen Aposteln ausgetrieben hat.
Die Menschen zur Zeit Jesu träumten schließlich auch diesen Traum: Sie träumten von genau solch einem Ereignis. Nur noch auf dieses eine Ereignis warten und alle Probleme wären gelöst. Wenn er endlich kommt, der Messias, dann sind alle Schwierigkeiten aus der Welt, alle Ungerechtigkeit, alle Not, alles Leid. Ein Ereignis und wenn das eintritt, dann läuft das Leben wie von selbst.
Vielleicht verbietet Jesus genau deshalb, Petrus und seinen Jüngern von ihm als Messias zu sprechen. Der Messias Jesus ist nämlich alles andere als jener große Zampano, mit dem die alltägliche Plackerei zu Ende geht und das Schlaraffenland beginnt.
Es gibt ein Leben auch nach der Geburt des Erlösers.
Wer sich ausgerechnet hatte, dass durch die Ankunft des Messias alle Probleme gelöst wären, wer sich eingebildet hatte, dass dann das Paradies auf Erden beginnen, Gott selbst die Dinge in die Hand nehmen und nichts mehr schief gehen würde, der hatte sich ganz gewaltig verkalkuliert.
So arbeitet Gott nicht.
Er ist nicht Mensch geworden, um uns das Leben aus der Hand zu nehmen. Er löst kein einziges unserer Probleme alleine. Und er sorgt nicht einmal dafür, dass uns keine Schwierigkeiten mehr begegnen.
So arbeitet Gott nicht.
Und vielleicht verbietet Jesus auch deshalb seinen Jüngern, von Zeiten zu träumen, in denen wir uns zurücklehnen könnten und uns die gebratenen Tauben gleichsam in den Mund fliegen. So lange wir auf dieser Welt leben wird es solche Zeiten nicht geben - nach keiner Prüfung, nach keinem vollendeten Bauabschnitt und selbst nicht nach der Ankunft des Messias.
Es wird nie eine Zeit kommen, in der Gott damit beginnen würde unser Leben für uns zu leben. Er hilft uns dabei. Leben aber müssen wir schon selber. Gott löst keines unserer Probleme. Er zeigt uns lediglich, wie Probleme zu lösen sind. Er nimmt uns keine Entscheidung ab. Er zeigt uns vielmehr, wie wir Entscheidungen treffen können, indem er aufzeigt, was wichtig, was hilfreich ist und was nicht.
Gott nimmt uns das Leben nicht ab. Solange wir in dieser Welt zuhause sind, müssen wir es schon selber leben.
Und deshalb sind auch all die großen Ereignisse in diesem Leben immer nur Zwischenetappen, markante Punkte zwischen zwei Wegabschnitten.
Das Ehejubiläum ist nichts anderes als der Startschuss für den nächsten Lebensabschnitt, in dem es wieder gilt, erneut zusammen zu wachsen und das Leben zu zweit zu meistern. Die bestandene Prüfung ist genaugenommen nichts anderes als der Beginn der Zeit, in der es gilt, das gelernte um- und einzusetzen. [Und unser Pfarrheim, das nun nutzbar ist, ist genau genommen der Anfang einer großen Herausforderung: der Herausforderung nämlich in diesen Räumen Menschen zusammenzuführen, um wirklich Gemeinde Jesu Christi zu leben. Der Abschluss, den wir heute feiern, ist genaugenommen ein Startschuss, der Anfang einer eminent bedeutsamen Wegetappe, die heute beginnt.]
Nichts auf diesem Weg wird uns vorgesetzt. [Niemand anders wird Gemeinde für uns leben, wenn nicht wir selbst.] Gott wird uns diese Aufgabe nicht abnehmen. So arbeitet er nicht.
Aber er tut vielleicht etwas sehr viel wichtigeres: er gibt uns das Rüstzeug, es selber tun zu können.
Der Messias, den Israel erwartete und von dem viele enttäuscht waren, hat kein einziges der Alltagsprobleme beseitigt, und er hat auch keinerlei Anstalten unternommen, uns Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Aber er hat uns Menschen neu dazu befähigt, es selbst tun zu können, selber Probleme zu beseitigen und Schwierigkeiten selbständig zu meistern.
Gott nimmt es uns nicht ab - ganz im Gegenteil: Er befähigt uns, unser Leben selber zu leben.
Amen.
(gehalten am 23. / 24. Juni 2001 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)