Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Dezember - Kolping-Gedenktag
Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. Sie fragen ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragen Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Er antwortete ihnen: ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte. (Joh 1,6-8. 19-28)
Na wie wäre das: Ich in der Wüste!? Und dann mit einem Gewand aus Kamelhaaren, mit langem, ungekämmtem Haar und dabei nur Heuschrecken essend und wilden Honig schleckend. Wie wäre das wohl?
Liebe Schwestern und Brüder,
es wäre nicht nur komisch, es wäre bescheuert! Nur lächerlich würde es wirken.
Für Johannes den Täufer damals war es wohl durchaus richtig und angezeigt. Wollte ich es ihm nachmachen - es wäre bestenfalls lachhaft.
Einfach nachzumachen, was andere vorgemacht haben - und wären es die bedeutendsten Persönlichkeiten -, das funktioniert halt nicht.
Wenn ich jetzt hinginge und heute Abend ganz genauso wie Adolph Kolping zu Beginn seiner Tätigkeit etwa, in Bruchsal ein paar Handwerksgesellen einladen würde, um mit ihnen fromme Lieder aus dem 19. Jahrhundert zu singen - vermutlich würde ich damit kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Und selbst der Versuch, eine Sparkasse zu gründen, um es Adolph Kolping dann darin gleichzutun, würde heutzutage lediglich ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen.
Ich würde genau das Gleiche tun, wie er damals - und nichts käme dabei heraus. Ich könnte genau das Gleiche tun, was Johannes der Täufer getan hat, und es wäre eine einzige Witznummer. Mit bloßer Nachahmung ist offenbar nichts gewonnen. Kopieren lassen sich große Gestalten nicht. Und jemandem nachfolgen, ihn zum Vorbild zu haben - vermutlich hat es wenig mit einfachem Nachmachen zu tun.
Es gilt nicht nachzumachen, es gilt zu übersetzen.
Um Johannes dem Täufer nachzufolgen, muss ich seine Botschaft in die Gegenwart übersetzen. Um es Adolph Kolping gleichzutun, muss ich sein Zeugnis ins Heute transferieren. Nachfolgen heißt nicht nachahmen und erst recht nicht kopieren. Nachfolgen heißt übersetzen!
Übersetzen aber ist ein schöpferischer Akt.
Genau dieser schöpferische Akt aber ist das Bedeutende an großen Persönlichkeiten. Da hatte jemand den Weitblick, zu erkennen, was in seiner Situation genau das Richtige war, den zähen Willen, es auch umzusetzen und den Mut, dabei ausgetretene Pfade zu verlassen und Neuland zu begehen.
Was ist von mir, was ist heute, was ist jetzt gefordert - sich dieser Frage zu stellen, darauf eine Antwort zu finden und diese dann umzusetzen, das ist es, nicht das Liedersingen, nicht der wilde Honig und auch nicht die Sparkassen, entscheidend Neues genau zur richtigen Zeit zu spüren und anzupacken, das genau macht Menschen zu großen, zu bedeutenden Menschen.
Wenn wir großen Vorbildern folgen möchten, dürfen wir deshalb nicht nur dasitzen und darauf schauen, was sie begonnen haben, dürfen wir nicht nur weiterführen, was sie einmal angefangen haben. Wenn wir ihnen wirklich folgen möchten, dann müssen wir uns fragen, was heute, was für unsere Zeit das Notwendige und Erforderliche ist.
Das gilt vor allem im sozialen Bereich, dem Bereich, in dem Kirche in der Vergangenheit immer Vorreiter gewesen ist. Menschen wie Adolph Kolping haben genau dort angepackt, wo sie konkrete Not entdeckt haben, und sie haben häufig gegen Widerstände neue Wege gesucht, um der Not zu begegnen. Wir haben viel von ihnen gelernt. Unsere Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Grundlagen für soziale Gerechtigkeit erarbeitet und eine Fülle von Einrichtungen, die maßgebend für ein ganzes Jahrhundert gewesen sind, geschaffen - und pflegt sie bis heute.
Wir pflegen sie aber wie Reliquien aus einer längst vergangenen Zeit.
Das, was große Menschen, wie Adolph Kolping, damals als neue Wege beschritten haben, das, was sie als Neuland erschlossen haben, es ist zu breiten und gewohnten Trampelpfaden geworden. Wenn wir nichts anderes tun, als das, was damals begonnen hat, dann wäre das ganz ähnlich, wie mit einem Kamelfell bekleidet in die Wüste zu ziehen und zu glauben, man würde es Johannes dem Täufer gleichtun.
Die Lösungen, die Menschen wie Kolping am Ende des 19. Jahrhunderts gefunden haben, sind nicht die Lösungen des 21. Jahrhunderts. Und dass es, gerade im sozialen Bereich, allüberall in unserer Gesellschaft hakt, dass wir mit den alten Antworten nicht mehr weiterkommen, sehen wir augenblicklich ja zur Genüge.
Hier liegt eine unserer Aufgaben, Aufgabe als Christen und als Kirche. Das, was jetzt nottut zu sehen, die ausgetrampelten Pfade zu verlassen und Neuland zu beschreiten, das braucht es jetzt.
Kirche muss wieder Vorreiter werden, Vorreiter im Einsatz für eine gerechtere Welt.
Dazu gilt es aufzubrechen, liebgewordene Sicherheiten hinter sich zu lassen - auch die Sicherheiten bequemer staatlicher Förderungen.
Gerade das Netz staatlicher Förderung ist ja mittlerweile - mit all den daran hängenden Auflagen, engherzigen Richtlinien und all seiner Bürokratie - eher dazu geeignet, effektiven Einsatz für den anderen zu verhindern als zu befördern.
Fast jede neue Idee scheitert ja daran, dass sie sich mit irgendwelchen Richtlinien beißt, dass, wenn man es so angehen würde, Zuschüsse verloren gehen oder eine Voraussetzung für irgendeinen notwendigen Status nicht mehr gegeben wäre.
Manchmal hat es den Anschein, dass das soziale Netz, auf das wir in der Vergangenheit so stolz gewesen sind, sich mittlerweile an entscheidenden Punkten so stark verheddert, dass es mehr damit beschäftigt ist, sich selbst auszubremsen, als andere wirklich aufzufangen.
Solche Verkrustungen, dort wo es notwendig ist, aufzusprengen, Lösungen zu finden, die wirklich weiterhelfen, und manchmal auch gegen Widerstände Neuland zu beschreiten, das war früher und das ist Aufgabe von Kirche zu jeder Zeit.
Wenn wir heute Kolpingdenktag feiern, dann feiern wir ihn wohl am ehesten im Sinne Adolph Kolpings, wenn wir möglichst wenig zurückschauen. Nach vorne müssen wir schauen. Und vor allem auf die Menschen - auf die, die unseren Einsatz brauchen. Wege müssen wir finden, deren Beschreiten für diese Menschen hilfreich ist. Und gehen müssen wir sie dann, selbst dann, vor allem dann, wenn sie vor uns noch niemand gegangen ist.
So übersetzen wir das Vorbild Adolph Kolpings ins 21. Jahrhundert. Und so werden wir heute zur Stimme eines Rufers in der Wüste.
Amen.
(gehalten am 14. Dezember 2002 in der Peterskirche, Bruchsal)