Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
3. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr C (Apg 5,27b-32. 40b-41)
In jenen Tagen verhörte der Hohepriester die Apostel und sagte: Wir haben euch streng verboten, in diesem Namen zu lehren; ihr aber habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt; ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt. Ihn hat Gott als Herrscher und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken. Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen. Dann verboten sie den Aposteln, im Namen Jesu zu predigen, und ließen sie frei. Sie aber gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden. (Apg 5,27b-32. 40b-41)
Eine Tafel an einem Haus in Breisach erinnert an ihn, an den großen Kirchenhistoriker und Missionswissenschaftler Joseph Schmidlin. In Breisach hat er gewohnt nachdem er zwangspensioniert worden war. Zuvor war der gebürtige Elsässer nämlich Professor in Münster gewesen, aber die Nationalsozialisten haben dafür gesorgt, dass er den Lehrstuhl dort verloren hat.
Keinen Hehl hat er aus seiner Meinung gemacht über Adolf Hitler und die Partei. In aller Öffentlichkeit hat er Stellung bezogen.
Ins Staatsgefängnis wurde er eingeliefert, dann ins Irrenhaus und am 10. Januar 1944 starb er im Konzentrationslager Schirmeck.
Als ich Vikar in Breisach war, hat mir ein alter Breisacher gesagt: "War doch selber schuld. Hett er sin Mul g'halte!"
Liebe Schwestern und Brüder,
so einfach ist das. Und genau so einfach haben es viele ja auch gemacht: Sie haben ihr Maul gehalten.
Und wer will es ihnen verdenken. Hätte ich den Mund aufgemacht - und nicht nur hinten herum, sondern offen und den Verantwortlichen voll ins Gesicht?
Selbst heute, wo man nicht ins Gefängnis - geschweige denn ins Irrenhaus - geworfen wird, wenn man seine Meinung vertritt, selbst heute fällt es ja alles andere als leicht, offen für seine Überzeugung einzutreten. Vor allem wenn man dabei vor hochgestellten Persönlichkeiten, g'scheiten und studierten Leut', hohen Würdenträgern und Vorgesetzten steht - Menschen, die es immer wieder fertig bringen, dass man sich ganz klein und unbedeutend fühlt.
Die meisten von uns erstarren ja schon in Ehrfurcht, wenn sie solch eine Persönlichkeit nur sehen. Und da dann den Mund aufmachen? Nicht nur überhaupt etwas zu sagen, sondern gar zu widersprechen?
Wenn Sie dieses Gefühl kennen, dann wissen Sie vermutlich auch, wie es Petrus und den anderen damals ergangen sein muss, wie die sich gefühlt haben müssen.
Die standen plötzlich - sie haben es in der Apostelgeschichte eben gehört - vor dem Hohenpriester. Die kleinen, unbedeutenden Fischer aus der Provinz standen - nicht vor einem Pfarrer, nicht einmal vor so etwas wie einem Bischof - vor dem obersten Vertreter ihres Glaubens, ihrer Religion, vor jemandem, nach dem eigentlich nur noch Gott selbst kommt. Die meisten Menschen aus ihrem Ort, werden den Hohenpriester wohl nie auch nur von Weitem gesehen haben.
Petrus und die anderen standen jetzt vor ihm und Petrus sagt: "Was du sagst, ist nicht richtig. Das kann Gott nicht wollen. Was du sagst ist völlig falsch!"
Da zittern einem schon die Knie, wenn man sich die Szene auch nur ausmalt.
Die meisten von uns hätten wohl keinen Ton herausbekommen, hätten nie gewagt, den Mund auch nur aufzumachen.
Gott sei Dank hat Petrus Courage gezeigt. Hätte er seinen Mund gehalten - was wäre dann daraus geworden, aus der Botschaft Christi? Wer hätte dann davon erfahren, davon, dass das Leben gesiegt hat, dass es nichts gibt, was Gott widerstehen kann, nicht einmal der Tod. Was wäre aus der Sache Jesu geworden, wenn keiner gewagt hätte, den Kopf dafür hinzuhalten.
Gott sei Dank hat der den Mund aufgemacht.
Und Gott sei Dank gibt es immer wieder welche, die ihren Mund nicht halten, die nicht wegschauen, und nicht einfach sagen: "Ich kann da sowie nichts machen!"
Gott sei Dank gibt es Menschen, die hinstehen, für ihr Gewissen eintreten und denen dabei völlig egal ist, wie bedeutend und wichtig ihr Gegenüber ist. Nur weil es solche Menschen gibt, nur deshalb bewegt sich etwas auf dieser Welt, nur deshalb wird manche Ungerechtigkeit aufgedeckt, manches Leid verhindert und manches doch noch zum Guten gewendet.
Gott sei Dank gibt es Menschen wie Petrus, wie Joseph Schmidlin und wie die vielen, die im alltäglichen Leben zuallererst auf ihre innere Stimme hören, auf ihr Gewissen, und dann erst auf Vorschriften, Bestimmungen und vermeintliche Autoritäten. Gott sei Dank gibt es immer noch ungezählte Menschen, die Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Denn das sind die, die zuerst den Menschen sehen, die den Mitmenschen und die Menschlichkeit nicht aus dem Blick verlieren.
Das muss sich nicht immer im großen Widerstand erweisen, das müssen nicht immer spektakuläre Ereignisse sein. Und ich muss auch nicht jedes Mal gleich mein Leben deswegen lassen. Es reicht manchmal schon, wenn der Satz: "Ich kann da nichts machen!" von der Auskunft: "Ich schau mal, was ich für Sie machen kann!" abgelöst wird. Denn schon dort, wo das passiert, schon dort stehen Menschen auf, gegen allzu zementierte Denkmuster und bürokratische Engführungen. Schon dort werden starre Apparate von der Menschlichkeit überwunden.
Wo Menschen um der Menschen willen, auch mal "Fünfe gerade sein lassen", schon dort sind wir ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu einer menschlicheren Welt.
Nein, nicht "Hätte er doch seinen Mund gehalten!" Gott sei Dank, dass da wieder einer war, der sich getraut hat, Unrecht beim Namen zu nennen und den Mund dagegen aufzutun. Solche Leute machen nämlich Mut. Sie machen uns Mut - Mut, es auf unsere Weise und dort wo wir stehen, ihnen gleichzutun.
Amen.
(gehalten am 24. April 2004 in der Pauluskirche, Bruchsal)