Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
2. Sonntag nach Weihnachten - Lesejahr A-C (Joh 1,1-5. 9-14)
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,1-5. 9-14)
Früher war das ganz ausgeprägt: Feine Leute erkannte man an ihren Händen. Wer sich die Hände nicht schmutzig machen musste, der war wohl etwas Besseres. Nur diejenigen, die zu den Einfachen gehörten, nur diejenigen mussten ihr täglich Brot mit ihrer Hände Arbeit verdienen. Dementsprechend konnte man kaum zu den Besseren gehören, wenn die Hände von der täglichen Arbeit gezeichnet waren.
Liebe Schwestern und Brüder,
genaugenommen war das nicht nur früher so. Dieses Denken steckt eigentlich immer noch ganz tief drin in unseren Köpfen.
"Mein Kind soll es einmal besser haben." sagt man, und ganz häufig meint man damit, dass es einmal einen Beruf ergreifen soll, der eben nicht von körperlicher Arbeit, sondern von geistiger Tätigkeit geprägt ist. Manche Kinder sind in der Vergangenheit ja deshalb auch aufs Gymnasium und selbst ins Studium getrieben worden, obschon sie von ihren Anlagen her in einem handwerklichen Beruf vielleicht sehr viel glücklicher geworden wären.
Sicher, unterstützt wird diese Praxis und diese Vorstellung ja von der Tatsache, dass geistige Tätigkeit bei uns eben auch sehr viel besser bezahlt wird als körperliche Arbeit. Aber warum denn eigentlich? Weil es bestimmte Fähigkeiten bräuchte, um solche Arbeiten ausüben zu können? Die braucht es bei körperlicher Tätigkeit doch mindestens genauso. Ich möchte nicht wissen, wer von unseren Geistesarbeitern die schwere körperliche Arbeit in einer unserer Fabriken auf Dauer aushalten würde. Das mit den Fähigkeiten, das kann der Grund deshalb nicht sein.
Der Grund für die bessere Bezahlung liegt - denke ich - ganz einfach darin, dass diese Tätigkeiten eben als höherwertig gelten, weil der Geist eben mehr wert sei als alles Körperliche, Leibliche, Materielle. So denkt man bei uns schließlich schon seit Ewigkeiten.
Aber auch, wenn man das tut, im Grunde ist es ein grausiges Denken. Es ist ein Denken, das in der Vergangenheit dafür verantwortlich war, dass alles Körperliche und Leibliche letztlich irgendwie in Misskredit geriet. Während der Geist zum Sitz der Tugend hochstilisiert wurde, galten der Leib und das Fleisch als Sitz der Wollust und der Sünde. Da aber Inbegriff der Leiblichkeit die Geschlechtlichkeit ist, wurde alles Geschlechtliche dadurch von vorneherein anrüchig, schlecht und irgendwie sündhaft. Noch weit bis in unser Jahrhundert hinein hat dieses Denken die Köpfe der Menschen und nicht zuletzt die Beichtspiegel unserer kirchlichen Praxis beherrscht: Der Geist allein zählt, das Fleisch ist abgrundtief schlecht. Es muss überwunden werden.
"Und das Wort ist Fleisch geworden!" Gott wird leibhaftig. Er spaziert gerade nicht als reiner Geist durch diese Welt, er wird Fleisch und wächst auch noch in einem Handwerksbetrieb heran. Geradeso, als ob Gott selbst diesem klassischen Denken eine Abfuhr erteilen möchte: Gott wird Fleisch. Wer Fleisch und Leib als minderwertig betrachtet, der wird hier von Gott selbst in den Senkel gestellt.
Und das ist nicht einmal etwas Neues. In der Menschwerdung seines Sohnes macht dieser Gott uns lediglich deutlich, was uns seit Anbeginn der Schöpfung eigentlich klar sein sollte: Die Dinge dieser Welt, die Materie, die Körper, alles Fleisch, sie sind von Gott geschaffen worden. Und er selbst hat dazu gesagt, dass sie gut sind, dass diese Dinge nicht minderwertig, sondern ein Gut sind.
Wir Christen haben dies offensichtlich vergessen oder nie so richtig ernst genommen. Ganz anders da die Juden: Sie haben nie den Fehler begangen, den Geist so einseitig zu überhöhen. Selbst der Rabbi, der Geistesarbeiter, selbst er musste ein Handwerk lernen, um nicht abzuheben, sondern auf beiden Beinen, mit Leib und Geist, ganz fest auf dem Boden zu bleiben.
Ein Christentum, das eine wie auch immer geartete Leibfeindlichkeit propagieren würde, ein solches Christentum, das hätte seinen Gott nicht verstanden. So wie ein gesunder Geist einen gesunden Körper braucht, in dem er wohnt, so braucht auch unsere Kirche ein gesundes Verhältnis zu Leib und Körper, Leiblichkeit und Sinnenhaftigkeit, sonst ist der Glaube, den sie propagiert, auch kein gesunder Glaube.
In Jesus ist Gottes Wort Fleisch geworden, denn dieser Gott hat offenbar keine Schwierigkeiten mit dem Fleisch, Er hat damit genauso wenig Schwierigkeiten wie mit Körper und Leib, mit Sinnlichkeit und Sinnenfreude, denn schließlich war er es, der dies alles gut geschaffen hat.
Amen.
(gehalten am 3. Januar 1999 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)