Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Lk 9,18-24)
In jener Zeit, als Jesus in der Einsamkeit betete und die Jünger bei ihm waren, fragte er sie: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Messias Gottes. Doch er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen. Und er fügte hinzu: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er wird getötet werden, aber am dritten Tag wird er auferstehen. Zu allen sagte er: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten. (Lk 9,18-24)
Das kennen Sie sicher: Die Zeit eilt, eigentlich müssten Sie schon unterwegs sein, aber es fehlt gar nicht mehr viel. Nur noch ein wenig dann ist der Brief fertig formatiert, oder der Knopf angenäht, oder das letzte Teil gebügelt, die Spülmaschine eingeräumt und gestartet. Jetzt gerade noch dieses eine fertig gemacht...
Sie kennen es: egal was es ist, es klappt mit Sicherheit nicht.
Es kann die leichteste Arbeit sein, eine, die Sie sonst in Nullkommanichts erledigen - dann, wenn es sowieso pressiert, dann geht mit Sicherheit irgendetwas schief: Das Computerprogramm bleibt hängen, auch beim fünften Versuch, die Nadel einzufädeln, ist die Öse wieder nicht getroffen, ausgerechnet jetzt ist das Wasser im Bügeleisen plötzlich alle und der Korb der Spülmaschine verkantet sich, weil hinten ein Löffel runtergerutscht ist...
Ganz egal was es ist, dann wenn's ganz besonders schnell gehen soll, dann klappt es mit Sicherheit nicht. Und dann kann ich sogar noch so oft drangehen, dann kann ich es mit noch so viel Gewalt immer wieder und wieder und immer heftiger probieren, meist geht dann erst recht nichts mehr.
Aber ein klein wenig Abstand, ein klein wenig Ruhe, noch einmal vielleicht eine Nacht darüber geschlafen und es läuft wie von selbst.
Liebe Schwestern und Brüder,
wahrscheinlich denkt Jesus genau daran, wenn er davon spricht, dass der, der sein Leben retten will, dass genau der es verlieren wird.
Wer es mit aller Gewalt und unbedingt und aller Verbissenheit und jetzt erst recht schaffen will, dem wird es nicht gelingen. So funktioniert das nicht, so verliert man das Leben.
Retten, gewinnen wirds der, der es um Jesu willen verliert.
Vielleicht lässt sich dieser rätselhafte Satz auf dem Hintergrund dieser Überlegungen am ehesten begreifen.
Das Leben um Jesu willen verlieren - diesen Satz darf man ja nicht missverstehen. Sein Leben zu verlieren, heißt ja nicht, dass man sein Leben wegwerfen soll. Und erst recht heißt es nicht, dass man nicht auf sich selbst achten, oder sich nichts gönnen darf - ganz im Gegenteil.
Mein Leben ist mir schließlich anvertraut und ich habe mich selbst genau so sorgsam zu behandeln, wie jeden anderen Menschen auch. Nicht auf sich zu achten, sich gleichsam wegzuwerfen und das eigene Leben mit Füßen zu treten, das meint Jesus ja ganz sicher nicht.
Sein Leben um Jesu willen zu verlieren, ich denke, diesen Ausdruck muss ich von Jesus her lesen. Wer sein Leben um Jesu willen verliert, das ist einer, der vor allem von Christus her denkt. Einer, der sich an Christus verliert, der ganz einfach sagen kann, mit dir, Herr, wirds schon irgendwie gehen; der ruhig und unverkrampft beginnt, mit einer ganz großen Gelassenheit, so, als wolle er gar nichts gewinnen und könne erst rechts nicht verlieren.
Genauso versteht Jesus - denke ich - dieses "sein Leben verlieren": Mit Ruhe und Besonnenheit, mit einer heiteren Gelassenheit, die mich die Dinge unverkrampft sehen lässt, weil ich meine Sache und mich selbst ganz einfach Jesus Christus überstellen darf, mich an ihn verlieren darf, mit dieser heiteren Gelassenheit - so muss ich ans Werk gehen. Dann nämlich laufen die Dinge.
Wer sein Leben mit aller Gewalt zum Ziel bringen möchte, der wird Schiffbruch erleiden. Wer aber unverkrampft, als gäbe es nichts zu verlieren, sein Leben angeht, dem wird es ganz leicht von der Hand gehen.
Ich weiß, das klingt jetzt ganz einfach. Aber wie das denn im Alltag auch wirklich funktionieren soll, das wird sich mancher fragen.
Wenn auch Sie nicht wissen, woher ich diese heitere Gelassenheit kriegen soll, dann schauen sie mal nach, was Papst Johannes XXIII. dazu gesagt hat. Der hat nämlich regelrechte Gebote der Gelassenheit umschrieben. Und diese zehn Gebote der Gelassenheit die lesen sich für mich, wie ein regelrechter Kommentar zum heutigen Evangelium. Wie schreibt Johannes XXIII?
"Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich die größte Sorge für mein Auftreten pflegen: vornehm in meinem Verhalten: ich werde niemanden kritisieren; ja ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern ... nur mich selbst.
Nur für heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück geschaffen bin ... nicht nur für die andere, sondern auch für diese Welt.
Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass die Umstände sich an meine Wünsche anpassen.
Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen. Wie die Nahrung für das Leben notwendig ist, ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.
Nur für heute werde ich eine gute Tat vollbringen, und ich werde es niemandem erzählen.
Nur für heute werde ich etwas tun, das ich keine Lust habe zu tun; sollte ich mich in meinen Gedanken beleidigt fühlen, werde ich dafür sorgen, dass niemand es merkt.
Nur für heute werde ich ein genaues Programm aufstellen. Vielleicht halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.
Nur für heute werde ich fest glauben - selbst wenn die Umstände das Gegenteil zeigen sollten -, dass die gütige Vorsehung Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden in der Welt.
Und nur für heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde ich keine Angst haben, mich an allem zu freuen, was schön ist, und an die Güte zu glauben. Mir ist es gegeben, das Gute während zwölf Stunden zu wirken. Mich könnte es entmutigen, zu denken, dass ich es das ganze Leben durchsetzen muss."
Soweit diese zehn Gebote der Gelassenheit von Johannes XXIII., einem, von dem ich glaube, dass er Gott wirklich verstanden hat.
Amen.
(gehalten am 19./20. Juni 2004 in der Antonius- und Pauluskirche, Bruchsal)