Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Jer 1,4-5. 17-19)
In den Tagen Joschijas, des Königs von Juda, erging das Wort des Herrn an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Gürte dich, tritt vor sie hin, und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage. Erschrick nicht vor ihnen, sonst setze ich dich vor ihren Augen in Schrecken. Ich selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur ehernen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen das Volk auf dem Land. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten - Spruch des Herrn. (Jer 1,4-5. 17-19)
Gegen wen rennen Sie an?
Sie werden kaum gegen Könige aufstehen oder gegen ganze Völker und Städte. Die Rolle, die der Prophet Jeremia übernehmen sollte, wird kaum die Ihre sein. Nichtsdestoweniger aber, werden Sie sich so manches Mal gar nicht viel anders fühlen, als dieser Jeremia.
Liebe Schwestern und Brüder,
mir geht es häufig so. Jedes Mal, wenn ich vor Aufgaben stehe, die mir eigentlich zwei, drei Nummern zu groß sind. Oder wenn ich angegriffen werde, obwohl ich nichts anderes gesagt oder getan habe, als das, was ich nach bestem Wissen und Gewissen eben tun oder sagen muss.
Das wird bei Ihnen nicht anders sein. Wenn Sie versuchen gradlinig zu sein, sich nicht verbiegen zu lassen, dann werden Sie um Schwierigkeiten kaum herumkommen.
Widersprechen Sie mal Ihrem Chef im Betrieb. Sagen Sie mal, dass sie diesen oder jenen Auftrag nicht ausführen können, weil das Fahrzeug nicht betriebssicher ist, weil Sie keinen Müll in die Landschaft kippen, weil eine Sache ethischen Grundsätzen zuwiderläuft. Da werden Sie so ziemlich das gleiche erleben, als würden Sie gegen Könige aufstehen oder gegen ganze Städte anrennen. Wie schnell fühlt man sich da, wie vor übermächtigen Gegnern und das trotz - oder vielleicht sogar gerade wegen - einer gerechten Sache!
Übermächtige Aufgaben - wie oft werden Eltern sich so fühlen? Da versucht man Jahre lang den rechten Weg zu finden, versucht abzuwägen, sich selbst treu zu bleiben. Und wie schnell geht es, dass man nichts mehr in der Hand hat, man sein bestes geben hat und nur noch sieht, wie einem die Dinge entgleiten. Und dass die Kinder von Gottesdienst und Kirche nichts mehr halten, ist da nur das kleinste all der Probleme, mit denen sich Eltern dann herumschlagen müssen. Man ringt mit der Aufgabe "Erziehung" wie mit einem Gegner, der viel zu glitschig ist, als dass man ihn wirklich packen könnte.
Und ganz besonders furchtbar wird es, wenn die Gegner, gegen die man zu kämpfen hat, dann gar nicht mehr sichtbar sind, wenn sie einen wie Gespenster umgeben, wie böse Geister, gegen die man eigentlich gar nichts mehr ausrichten kann. Da hat man versucht ordentlich zu leben, nichts zu übertreiben, auf seine Gesundheit zu achten und dann fällt solch eine heimtückische Krankheit - wie eine feindliche Armee - über einen her und raubt einem die letzte Kraft. Da kämpft man mit allen Mitteln - immer zwischen Hoffnung und Verzweiflung - und wird am Ende das Gefühl nicht los, auf verlorenem Posten zu stehen.
Da sind sie, diese Jeremia-Gefühle, diese Gefühle, nichts falsch gemacht zu haben, immer versucht zu haben, das Rechte zu tun, alles gegeben zu haben und dennoch am Ende den kürzeren zu ziehen, auf verlorenem Posten zu stehen, immer wieder aufs neue zu scheitern, und angesichts der Herausforderungen einfach nicht bestehen zu können. Das sind Jeremia-Gefühle. Gefühle, die den Propheten zeitlebens verfolgt haben.
Deshalb ist er mir auch so nah, dieser Jeremia. Deshalb ist er mir auch der liebste der Propheten. Er ist der, dem eigentlich nichts wirklich gelungen ist. Der sich angestrengt hat, wie kaum ein Mensch zuvor, der mit ganzem Einsatz an die Sache ging, und der am Ende so dastand, wie ich, wie jeder und jede von uns immer wieder auch dastehen.
Deshalb ist mir der Jeremia so lieb. Und weil er mir so nahe ist, gerade deshalb ist mir dieses Wort auch so wichtig, dieses Trostwort des Herrn an seinen Propheten, dieses Wort, das seinem Propheten Mut und Kraft geben soll, Mut trotzdem durchzuhalten und Kraft nicht aufzugeben, die Zuversicht, dass es trotz all der Widerwärtigkeiten, all der Misserfolge und all dem Scheitern, am Ende gut werden wird.
"Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen" - sagt der Herr. Er sagt es seinem Propheten und er sagt es allen, die diese Jeremia-Gefühle nicht minder kennen. Er sagt es in Bezug auf alle, die unter ungerechten Vorgesetzten leiden, oder darunter, dass der Chef nach oben buckelt, aber nach unten ganz schön tritt, oder die Firmenleitungen, die meinen Arbeitsplatz am liebsten schon vor Monaten abgebaut hätten, er sagt es im Blick auf solche glitschigen Gegner, die einfach nicht zu packen sind, all die Aufgaben, die einfach zu groß und unbewältigbar scheinen. Und er sagt es im Blick auf die vielen unsichtbaren Angreifer, die mein Leben niederdrücken und kaputtmachen, die mich, wie endlose Krankheiten, ins Bett und am Ende zu Boden zwingen.
"Mögen Sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen, denn ich bin mit dir, um dich zu retten" - Genauso wie ich die Gefühle des Jeremia kenne, genauso fühle ich mich von diesem Gotteswort angesprochen. Und Sie dürfen sich nicht minder angesprochen fühlen.
"Mögen Sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen." Nicht selten gibt mir dieser Gedanke die Kraft, weiter dranzubleiben, nicht selten gibt mir dieses Wort den Mut, durchzuhalten.
"Denn ich bin mit dir, um dich zu retten" - und selbst dann, wenn es mal wieder nicht hilft, selbst dann, wenn schon beinahe die Verzweiflung obsiegt, selbst dann kann ich diesen Gott auf dieses Wort festlegen: festlegen auf diese Verheißung, die er auch uns gibt. Denn er hat es versprochen! Er ist mit uns, um uns zu retten - das ist schließlich Spruch des Herrn, Wort des Lebendigen Gottes, göttliche Verheißung an uns.
Und wenn wir Gott nicht mehr trauen könnten, wem sollten wir dann noch trauen.
Amen.
(gehalten am 30./31. Januar 2010 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)