Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
15. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Kol 1,15-20)
Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut. (Kol 1,15-20)
Es war in einer Silvesternacht. Der Bruder meines Freundes war auf einer Party. Und er hat dabei keinen Tropfen Alkohol angerührt, weil er ganz frisch seinen Führerschein hatte.
Als er kurz nach Mitternacht nach Hause fuhr, kam er an einer Stelle leicht von der Straße ab und beschädigte eine Leitplanke. Anständig wie er ist, rief er die Polizei und zeigte den Schaden an.
"Haben Sie etwas getrunken?" fragte einer der Beamten.
"Nein, keinen Tropfen"; war die wahrheitsgemäße Antwort.
"Waren Sie müde?" war die nächste Frage.
"Ha, vielleicht schon."
"Oh, das hätten Sie jetzt nicht sagen sollen!" meinte der andere Beamte.
Übermüdet am Steuer - Anzeige - vereinfachtes Gerichtsverfahren und das ernüchternde Urteil: Drei Monate Führerscheinentzug, mit der Begründung: charakterlich für die Führung eines Wagens nicht geeignet.
Liebe Schwestern und Brüder,
mein Freund war ungeheuer betroffen. Da hat sein Bruder an Silvester nichts getrunken, auch noch selbst die Polizei gerufen und dann schreibt da jemand, er sei charakterlich ungeeignet.
Mein Freud hat sich hingesetzt und dem Richter geschrieben und ihm die Frage gestellt, ob er tatsächlich der Meinung sei, dass diese Formulierung auf diesen Fall zutreffen würde, und ob er sich überhaupt vorstellen könne, was solch ein Urteil in einem jungen Menschen anrichten kann.
Der hatte nicht über die Stränge geschlagen, der ist nicht am Steuer eingeschlafen, der hatte ja selbst sogar noch die Polizei informiert. War da solch eine vernichtende Formulierung denn notwendig?
Ich wüsste nicht, dass mein Freund je eine Antwort erhalten hätte. Und ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass der entsprechende Richter überhaupt verstanden hat, worum es meinem Freund ging.
Es gab ja auch eigentlich gar nichts auszusetzen. Genauso, mit genau diesen Worten, steht es schließlich im Gesetzbuch.
Ich denke, dass er die ganze Aufregung gar nicht verstanden haben wird, jener Richter. Er wird bei solch eindeutigen Fällen einfach nach Aktenlage Dutzende Entscheidungen an einem Tag fällen - ohne die betreffenden Menschen jemals gesehen zu haben. Und er wird dabei wohl so sehr in der Welt seiner juristischen Formulierungen leben, in der Welt all dieser Paragraphen und für einen Laien völlig unverständlichen Sätzen, dass er gar nicht mehr nachvollziehen kann, wie solche Sätze denn wirklich gelesen werden und was sie in Menschen bewirken.
Was Juristerei angeht, ist das - glaube ich - recht häufig der Fall. Letzte Woche konnte ich wieder erleben, dass es nicht minder passiert, wenn es um Theologie geht.
Auch wenn Theologen etwas verfassen, ist die Gefahr recht groß, dass hier Menschen schreiben, die ganz in ihrem dogmatischen Lehrgebäude leben, die so in den Formulierungen aufgehen, dass sie schon gar nicht mehr verstehen können, wie wenig von dem, was sie schreiben, von den Menschen wirklich verstanden wird, oder was ihre Formulierungen auslösen, wenn man sie nicht auf dem Hintergrund eines in sich durchaus stimmigen, aber eben völlig geschlossenen Gedankengebäudes liest.
Das Papier über einige Fragen zur Kirche, das in den letzten Tagen Schlagzeilen machte, ist ein gutes Beispiel dafür.
Und ich bin froh, dass die Aufregung darüber in den evangelischen Kirchen nicht allzu hoch gehängt worden ist. Denn letztlich steht nichts Neues drin, es ist lediglich wieder einmal eine Sprache und Ausdrucksweise, die nur innerhalb des Lehrgebäudes wirklich verstanden wird und von der man sich fragen kann, warum man die Dinge heute noch so ausdrücken muss.
Zunächst einmal wird ja betont, dass es nur eine Kirche gibt, und das ist die Kirche Jesu Christi. Vom Wort her heißt Kirche schließlich nichts anderes, als Kyriaké, und das meint "die, die zum Herrn gehören". Diese Kirche ist die katholische und apostolische Kirche, wie sie alle Christen gemeinsam im Credo bekennen, denn dieses "katholisch" des Glaubensbekenntnisses heißt ja nichts anderes als allgemein und die ganze Welt umfassend.
Diese Kirche - und das ist unbestritten - ist sehr viel größer und um ein Vielfaches umfassender als die konkret greifbare irdische Institution der römisch-katholischen Kirche. Aber selbstverständlich ist ein römisch-katholischer Christ davon überzeugt, dass sich die Kirche Jesu Christi in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht, was absolut nicht ausschließt, dass außerhalb des sichtbaren Gefüges eben dieser römisch-katholischen Kirche "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind", wie das zweite Vatikanische Konzil sagt.
Das jüngste Schreiben wiederholt dies im Grunde nur und es versucht dann auch noch - ebenfalls nichts Neues - die unterschiedlichen Arten dieser "vielfältigen Elemente der Heiligung und der Wahrheit" gleichsam zu katalogisieren.
Dazu wird zuerst dogmatisch messerscharf definiert, was alles von Nöten ist, dass ein katholischer Theologe von Kirche spricht, und dann wird dementsprechend unterschieden in Kirchen und kirchenähnliche Gemeinschaften und so weiter.
Und das ist alles genauso richtig und in sich schlüssig, wie das Urteil jenes Richters damals, im Falle des Bruders meines Freundes. Innerhalb des jeweiligen Gedankengebäudes ist das alles völlig logisch und nichts dagegen zu sagen.
Jener Richter war aber unheimlich weit weg von diesem ganz konkreten jungen Mann, an den das Urteil dann in schriftlicher Form zugestellt wurde. Von seinem Leben und den genauen Umständen wusste er nichts. Ja er wusste vermutlich so wenig davon, dass er sich gar nicht mehr vorstellen konnte, was seine Worte wirklich anrichteten.
Sie waren in sich schlüssig und richtig und für den geschulten Fachmann vielleicht nachvollziehbar, mit dem Leben vor Ort hatten sie leider nur unheimlich wenig zu tun.
Das ist manchmal so, wenn es um Juristerei geht. Und bei der Theologie ist es häufig gar nicht so viel anders.
Gott sei Dank ist da das Wort der Bibel um ein Vielfaches klarer, Gott sei Dank ist es weit näher am Leben dran. Und es umschreibt den Grundsatz, dem keine Theologie und kein Theologe - vom kleinen Pfarrer bis zum Papst in Rom - weder widersprechen wird noch widersprechen kann.
Denn wer zur Kirche, zur allgemeinen, allumfassenden, die Welt umspannenden, also katholischen Kirche, wer zu dieser Kyriayké gehört, das entscheidet letztlich der Herr.
Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche.
Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten, so hat er in allem den Vorrang.
Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen.
Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz
durch sein Blut.
Amen.
(gehalten am 14./15. Juli 2007 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)