Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
8. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Lk 6,39-45)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Der Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte hervorbringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte hervorbringt. Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: von den Disteln pflückt man keine Feigen, und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist; und ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist. Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. (Lk 6,39-45)
Es ist echt kein Witz, ich hab' sie selbst gesehen. In Kramsach in Tirol hat man sie gesammelt: Grabkreuze aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Und was man auf diesen Friedhofskreuzen an Sprüchen lesen kann, das ist für uns heute manchmal unvorstellbar.
Da steht zum Beispiel auf einem Grabkreuz aus dem Jahre 1849:
"Hier ruht Franz Josef Matt,
der sich zu Tod gesoffen hat.
Herr gibt ihm die ewige Ruh
und ein Gläsle Schnaps dazu."
Und auf einem anderen kann man lesen:
"Hier liegt begraben die ehrsame Jungfrau Notburga Nindl,
gestorben ist sie im siebzehnten Jahr
just als sie zu brauchen war."
Während über Adam Lentsch gesagt wird:
"Hier liegt Adam Lentsch,
26 Jahre lebte er als Mensch,
37 Jahre als Ehemann."
Und der absolute Gipfel ist für mich jenes Grabkreuz mit einem Spruch - den man in der Kirche eigentlich nur an Fasnacht vorlesen kann - es heißt dort:
"Hier liegt der Brugger von Lechleitern,
er starb an einem Blasenleiden.
Er war schon je ein schlechter Brunzer,
drum bet für ihn ein Vaterunser. ...."
Liebe Schwestern und Brüder,
für uns ist das eigentlich schon fast unvorstellbar. Friedhof und Humor, das passt für unsere Begriffe zusammen wie Faust auf Auge. Mit dem Sterben spaßt man schließlich nicht. Der Tod ist eine ernste Sache.
Und nicht nur der Tod - das ganze Leben ist eine ernste Sache! Und ganz besonders für Christen - zumindest hat es manchmal ganz stark den Anschein! Es sieht ganz schwer danach aus als würden sich Christsein und Humor nur ganz schlecht vertragen. Und vor allem nicht in der Kirche. In der Kirche schien ja lachen geradezu verboten zu sein! Zumindest seit der Mitte des 19. Jahrhunderts!
Das fiel mir erst kürzlich wieder auf, als ich in einem Handbuch für Prediger aus dieser Zeit geblättert habe. Auf fast 700 Seiten finden sich dort 'zig Predigtanregungen, sortiert nach Stichworten. Man findet alles zum Thema Gebot, Hölle, Tod; und die Sünde ist gleich doppelt aufgeführt nämlich als lässliche und tödliche Sünde... Aber die Stichworte Freude oder Fröhlichkeit, die fehlen völlig - geschweige denn Lachen. Ja es gibt nicht einmal etwas zum Thema Erlösung! Keines dieser Stichworte wurde in diesem Handbuch, nach dem Prediger damals ihre Ansprachen gestaltet haben, behandelt.
Und viele von Ihnen werden es aus Ihrer Jugend noch kennen: Kaum einmal ist schließlich in einer Predigt dazu aufgerufen worden, unbeschwert zu sein oder sich des Lebens zu freuen. Hat es irgendwann einmal geheißen: genießt jeden Tag, der Euch von Gott in Gesundheit geschenkt worden ist.
Nein, hütet Euch vor der Sünde! Seid immer auf der Hut! Das Böse lauert überall! Fürchtet das Gericht und das Höllenfeuer. Das haben viele von Ihnen aus ihrer Jugend mitgenommen.
Dass Jesus eine frohe Botschaft verkündet hat, dass er Menschen befreite und die Erlösung gebracht hat, das trat vielerorts völlig in den Hintergrund. Vor lauter religiöser Pflichterfüllung blieb die Freude des Glaubens oft auf der Strecke.
Und manchmal wich sie dann ganz der Angst: Angst vor Gott, vor seinem Gericht und seiner Strafe.
Und manchmal führte dies dann in Zwänge und Psychosen. Und am Ende hat solche Religiosität Menschen oft sogar krank gemacht.
Religiosität kann nämlich krank machen: dann, wenn sie falsche Religiosität ist. Auch für Religion gilt schließlich, dass man sie an ihren Früchten erkennt - so wie es im heutigen Evangelium heißt: Ein guter Baum bringt seine gute Frucht.
Und wo als Frucht von Religion und religiösen Praktiken Menschen nicht frei werden, sondern in Zwänge geraten, wo Menschen nicht froh und glücklich werden, sondern depressiv und niedergedrückt, dort bringt Religion keine guten Früchte; und dort kann sie deshalb auch nicht Religion Jesu Christi sein.
Ein Baum nämlich, der in Christus wurzelt, bringt auch Christi Früchte hervor. Christus aber hat Menschen befreit. Er hat uns endgültig die Angst vor Gott genommen und er hat uns die Erlösung geschenkt. Er hat uns Grund zur Freude gegeben und eine Freudenbotschaft gebracht.
Deshalb könnte eine Kirche, in der es nichts mehr zu lachen gibt, auch niemals Kirche Jesu Christi sein. Und Gottesdienst, der mit Trübsal blasen einhergeht, dient vielleicht allen Göttern, nur nicht dem Gott, den Jesus Christus verkündet hat.
Nicht umsonst heißt es in unserem Gotteslob: Freut Euch, Ihr seid Gottes Volk, erwählt durch seine Gnade!
Um allen Protesten gleich vorzubeugen: Das heißt in keinster Weise, dass ich hier dazu aufrufen würde, einfach in den Tag hineinzuleben. So nach dem Motto: Alles ist ja in Ordnung, genieße den Tag und lass den lieben Gott 'nen guten Mann sein. Ganz im Gegenteil. Froh und im Bewusstsein der Erlösung durch dieses Leben zu gehen, heißt in keinster Weise, unkritisch oder gar gedankenlos zu werden.
Auch das können wir den humorvollen Grabkreuzen aus Tirol sehr wohl entnehmen. Alle Ausgelassenheit und alle Freude am Leben hat den Menschen damals offensichtlich nicht den Blick dafür verstellt, dass ich wachsam und besonnen bleiben muss.
Denn den Tag und die Stunde kenne ich nicht. Und manchmal ist mir diese Stunde näher, als ich es mir in den kühnsten Träumen ausmalen kann. Wie heißt es schließlich auf einem dieser Tiroler Kreuze:
Der Weg in die Ewigkeit
ist nicht weit.
Um 7 Uhr ging er fort,
um 10 Uhr war er dort.
(gehalten am 24./25. Februar 2001 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)