Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. November - Hochfest Allerheiligen
Ich mochte "unsere" Katharina, unsere Reiseleiterin in Griechenland. Sie führte uns kompetent durch die Ausgrabungen, die antiken Stätten und vor allem auch durch die beeindruckenden Kirchen und Klöster. Ausgiebig erklärte sie uns Wandmalereien und die großartigen Ikonen. Ich mochte "unsere" Katharina.
Und ich mochte den kleinen Ali Reza - einen muslimischen Jungen aus Wien, der ungeheuer interessiert und wirklich bewandert sowohl in islamischer als auch in christlicher Religion war.
An einem Nachmittag, als wir wieder einmal vor einem großartigen Wandgemälde standen, fragte Ali Reza unvermittelt unsere Reiseleiterin: "Sie zeigen uns immer ganz viele Heilige, fast alle Kirchen sind Marienkirchen und überall sind Bilder von Heiligen angebracht. Von Gott haben Sie noch gar nicht gesprochen. Spielt der denn bei Ihnen gar keine Rolle?"
Katharina musste kurz überlegen und dann sagte sie, mit der vollen Überzeugung einer gestandenen Reiseleiterin: "Nein, nein, Gott ist nicht so wichtig. Allein wichtig sind die Heiligen!"
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, ich hätte es nicht geglaubt.
Aber so etwas kann dabei herauskommen, wenn eine in der Volksfrömmigkeit groß gewordene Religiosität einfach ins Kraut schießt. In der religiösen Praxis unserer Reiseleiterin, die eben fromm war, wie man als Griechin halt fromm ist, in ihrer Praxis spielten die Heiligen eine riesige, Gott aber kaum eine große Rolle.
Ganz Ähnliches habe ich erlebt, als wir in unseren Partnergemeinden in Peru zu Besuch waren. Auch da wurden die Kirchenpatrone und Heiligenfiguren derart verehrt, dass man sich manchmal schon die Frage stellen musste, ob Gott in dieser Frömmigkeit auch noch vorkommen mag.
Und wenn ich vor die eigene Haustüre schaue, stellt sich dieses Gefühl manchmal nicht minder ein: Da haben wir die vierzehn Nothelfer und Altarbilder, die so viel Ähnlichkeit mit den Götterdarstellungen unserer alemannischen und germanischen Vorfahren haben, dass man sich manchmal fragen muss, ob hier nicht alte, längst überholt geglaubte Vorstellungen fröhliche Urständ feiern.
Denn so manche Form der Heiligenverehrung, bei der man diesem Heiligen oder jener heiligen Frau eine ganz bestimmte Zuständigkeit zuspricht, erinnert manchmal schon an alte Götter, denen man eben bei bestimmten Anliegen ein entsprechendes Opfer zu bringen hatte.
Die schon sprichwörtlichen fünf Mark für den Heiligen Antonius beispielsweise sind da hart an der Grenze, wenn sie dieselbe nicht schon längst überschritten haben.
Ja - und darauf weise ich ausgerechnet am Festtag Allerheiligen hin. Denn auch das gilt es an solch einem Tag manchmal zu betonen. Ab und an muss man nämlich auch wieder deutlich machen, was Heilige nicht sind.
Sie sind schließlich keine Götter, sie werden nicht angebetet.
Sie sind nicht einmal Mittler zu Gott, denn unser Mittler ist Jesus Christus und kein anderer. Wir haben keinen anderen nötig, denn jeder und jede hat in Christus seinen direktesten Draht zu Gott überhaupt.
Heilige sind auch keine Übermenschen. Heilig sind sie nicht dadurch, dass sie Großartiges geleistet hätten. Was ist all unsere Leistung gegen das, was Gott uns tagtäglich schenkt.
Heilig sind sie einzig und allein dadurch, dass sie - wie jeder und jede von uns - zu Gott, dem Heiligen, gehören.
Aber was ist an ihnen dann überhaupt noch Besonderes? Warum feiern wir heute dann Allerheiligen? Und warum bekennen wir die Gemeinschaft der Heiligen im Glaubensbekenntnis?
Nun, wir tun es, weil es wichtig ist! Weil dies eine ganz wichtige Dimension unseres Glaubens ist.
Diejenigen, die uns vorangegangen sind und jetzt bei Gott leben, tun schließlich noch immer das Gleiche, was schon in ihrem irdischen Leben so wichtig gewesen ist: Sie denken an andere und sie beten für sie.
Und das ist unendlich wichtig. Ich spüre schließlich jeden Tag, wie gut es tut und wie notwendig es in so vielen Situationen ist, dass Menschen mir sagen: "Ich denke an dich!" oder "Ich bete für dich!"
Diese Verbundenheit der Glaubenden im Gebet hört im Tod aber nicht auf. Sie gewinnt vielleicht sogar eine ganz neue Intensität.
Und das ist für mich der eigentliche Inhalt des heutigen Festtages - das eigentliche Geheimnis dieser Gemeinschaft der Heiligen. Es sagt mir nämlich: Ich darf zu den Menschen, die mir vorausgegangen sind und die mir wichtig waren, sprechen, denn ich darf daran glauben, dass die Verstorbenen nicht einfach weg sind. Sie leben bei Gott! Und sie hören mich, wenn ich mit ihnen rede. Und ich darf mir sicher sein, dass sie an mich denken, für mich beten, dass wir im Gebet verbunden sind.
Und dies gilt nicht nur für diejenigen, die wir in der Kirche als Heilige verehren. Dies gilt ganz unterschiedslos von allen, von denen wir ganz persönlich glauben dürfen, dass sie bei Gott sind.
Ich darf ruhig zu und gemeinsam mit meinem Partner, der bereits verstorben ist, meinen Eltern, meinem Kind oder auch mit einem lieben Freund beten. Und ich darf ganz sicher sein, dass alle diese Menschen wirklich bei Gott sind.
Denn genau das sagt für mich der Glaubenssatz von der Gemeinschaft der Heiligen. Die Gemeinschaft der Heiligen, das ist die große Gemeinschaft aller, die zu Gott, dem Heiligen, gehören. Die Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen - oder besser: der Lebenden und der bereits bei Gott lebenden Menschen -, eine Solidargemeinschaft, die im Gebet miteinander verbunden ist.
Für mich bedeutet genau das, Allerheiligen zu feiern, sich diese große Gemeinschaft, die wir alle darstellen, wieder aufs Neue bewusst zu machen. Denn genau das sind wir: Wir sind die Gemeinschaft der Heiligen, eine große im Gebet verbundene Solidargemeinschaft der Lebenden und der schon bei Gott lebenden Menschen.
Und genau das sind die Heiligen, nicht mehr - aber auch kein bisschen weniger.
Amen.
(gehalten am 1. November 2007 in der Pauluskirche, Bruchsal)