Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr C (2 Kor 5,17-21)
Brüder (und Schwestern)! Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung zur Verkündigung anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Kor 5,17-21)
Meine Großmutter hatte manche Eigenarten, so wie Menschen mit über neunzig Jahren eben ihre Eigenarten entwickeln. Eine von diesen Eigenschaften aber, die war ganz besonders eigen und die hatte sie schon lange, eigentlich schon so lange, wie ich mich bewusst an sie erinnern konnte. Es war nämlich immer schon ungeheuer schwer, meiner Großmutter ein Geschenk zu machen. Wenn ich sie besuchte, zum Geburtstag etwa, wenn ich Ihr eine Schachtel Pralinen mitbrachte – Ich konnte da ganz sicher sein: kurz bevor ich ging, bekam ich ganz sicher noch etwas zugesteckt. Meist war es ein Geldschein, der den Wert der Schachtel Pralinen bei weitem übertraf.
Und das ging nicht nur mir so. Wenn jemand aus der Nachbarschaft etwa ihr eine Besorgung machte - er konnte ganz sicher sein, am Ende würde er ganz große Mühe haben, den Zehn-Mark-Schein, den ihm meine Grußmutter zusteckte, nicht anzunehmen.
Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was da dahinter stand und warum sie das tat. Einmal hat sie es mir gesagt. Und das war ein Satz, der mich schon ein wenig erschüttert hat: "Bleib' nie irgend jemandem etwas schuldig", hat sie gesagt, "dann brauchst du auch nie Danke zu sagen!"
Liebe Schwestern und Brüder,
warum ich das hier erzähle? Nun, weil ich denke, dass dies eine Haltung ist, die in irgendeiner Form ganz tief in jedem von uns drinsteckt. Wenn ich etwas bekomme, egal von wem, dann will ich das auch wieder gut machen, dann will ich das wieder in Ordnung bringen. Einfach nur "Danke" zu sagen, "Schön, dass Sie das gemacht haben!" Das fällt uns im Normalfall ungeheuer schwer. Wenn mir jemand etwas geschenkt hat, dann kann der Gift darauf nehmen: ich werde ihm bei der nächsten Gelegenheit auch wieder etwas schenken. Wenn mir jemand etwas Gutes getan hat, ich werde mich mühen, mich in irgendeiner Form möglichst bald erkenntlich zu zeigen. Einfach Danke zu sagen, nur danken zu können, nichts anderes zu tun, als einfach nur dankbar zu sein, das fällt uns ungeheuer schwer.
Vielleicht fällt uns die Vorbereitungszeit auf Ostern, gerade auch deshalb oftmals so schwer. Wenn ich feststellen muss, dass Gott mir vergibt, ja schon lange vergeben hat, bevor ich das, was mich drückt, überhaupt erst ausgesprochen habe, wenn ich registrieren muss, dass er mir diese Vergebung schenkt, ohne dass ich auch nur im Geringsten etwas tun müsste, nicht einmal etwas tun könnte, außer ganz einfach danke zu sagen, dankbar zu sein, wenn ich dies wieder neu realisiere, dann überfällt mich oftmals ein ganz unangenehmes Gefühl. Es ist das Gefühl so ganz hilflos, ganz nackt dazustehen und gar nichts tun zu können.
Vielleicht ist die Aufforderung, des Apostels Paulus aus der Lesung, die wir eben gehört haben, gerade deshalb so wichtig. Nicht: "Kehrt um!" Nicht: "Unternehmt alle nur erdenklichen Anstrengungen!" Auch nicht: "Fastet und tut Buße!" Paulus ruft uns zu: "Lasst euch mit Gott versöhnen!" Nichts anderes müssen wir tun, wir müssen es nur zulassen. Gott will es. Gott will uns diese Versöhnung schenken. Er will barmherzig sein. Wir müssen es nur zulassen.
Wahrscheinlich ist das unangenehmer, als unheimlich viel zu leisten. Wenn wir etwas leisten müssten, wenn wir uns diese Versöhnung erarbeiten müssten, dann könnten wir ja noch stolz auf uns sein, könnten uns einbilden, wir hätten jetzt auch ein Recht auf unseren Lohn, hätten uns die Vergebung auch verdient. Nein, Gott will sie uns schenken, wir können sie uns gar nicht erarbeiten! Wir können gar nichts anderes tun, als es einfach zuzulassen.
"Lasst euch mit Gott versöhnen!"
Offensichtlich freut unseren Gott kaum etwas mehr, als uns dieses Geschenk machen zu können. Offensichtlich macht ihm nichts so viel Freude, als uns wieder in seine Arme zu schließen und ganz fest an sich zu drücken.
Lassen wir uns mit Gott versöhnen und sagen wir ganz einfach, "Danke!" Nicht mehr! Ganz einfach nur "Danke!" So, wie es schon der Psalmist des Alten Testamentes getan hat, in den wunderbaren Worten des 103. Psalmes nämlich. Sie kennen dieses großartige Gebet:
"Lobe den Herrn, meine Seele,
und alles in mir seinen heiligen Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat..."
Amen.
(gehalten am 22. März 1998 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)