Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


29. Juni - Hochfest Peter und Paul (1 Kor 14,33b-36)

Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist, sollen die Frauen in der Versammlung schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert. Wenn sie etwas wissen wollen, dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen; denn es gehört sich nicht für eine Frau, vor der Gemeinde zu reden. Ist etwa das Gotteswort von euch ausgegangen? Ist es etwa nur zu euch gekommen? (1 Kor 14,33b-36)

Ein Zelt bietet Schutz – Schutz vor Wind und Wetter etwa, es bietet einen Raum zum Ausruhen und es wärmt, wenn draußen Stürme toben oder die Kälte der Nacht hereinbricht. Tücher aus Leder und Tierhäuten für genau solche Zelte hat er hergestellt, jener Paulus aus Tarsus, von dem wir wissen, dass er Zeltmacher von Beruf war.

Liebe Schwestern und Brüder,

fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Vorbild solcher Zelte dann auch Pate gestanden hat, wenn dieser Paulus eine Gemeinde gründete. Das war kein Haus, das fest gegründet und unverrückbar dann auf seinem Platz stand. Solch eine Gemeinde war vielmehr wie ein Zelt. Schnell aufgeschlagen, mit all der Flexibilität, die solch ein Zelt halt braucht, eine Behausung, die keinen bestimmten Unterbau benötigt, die überall aufgeschlagen werden kann und sich dem Gelände anzupassen vermag, die dem Wind nachgeben kann und ihn dennoch abhält, und die gerade einmal mit so vielen Stricken festgezurrt wird, wie halt unbedingt vonnöten sind, damit das Zelt die Form, die es braucht, auch bewahren kann.

Ich denke, für viele von uns wären diese Gemeinden des Paulus mehr als nur ungewohnt gewesen, und mancher hätte schon seine Schwierigkeiten gehabt, mit ihnen zurande zu kommen - so wenig, wie dort geregelt war.

Da gab es noch keine Gemeindeordnungen, geschweige denn ein Kirchenrecht. Da gab es keine Zuständigkeiten und erst recht keine Stellenbeschreibungen. Da packte jeder dort an, wo er glaubte, etwas einbringen zu können: Juden wie Griechen, Reiche wie Arme, Gebildete ebenso wie einfach Begeisterte, Männer genauso wie Frauen.

Da gab es den Diakon und die Diakonin – und keiner diskutierte über irgendwelche Zulassungsbestimmungen zum Amt, weil damals bei diesen Bezeichnungen noch niemand an irgendwelche Weihestufen dachte und erst recht nicht an Teile einer machtbewussten Hierarchie. Diakon und Diakonin, das meinte damals ganz einfach das, was diese Worte eben bezeichnen: jemanden nämlich, der der Gemeinde dient.

Und das taten in den Gemeinden des Paulus ganz offensichtlich Männer und Frauen in gleicher Weise. Und auch wenn man dem Paulus heute so gerne unterstellt, dass er etwas gegen Frauen gehabt hätte, auch wenn man ihm heute noch so oft seinen Satz, dass nämlich die Frau in der Kirche schweigen solle, um die Ohren schlägt, man tut ihm mehr als unrecht, wenn man ihn zum Frauenhasser stilisiert. Männer wie Frauen engagierten sich ganz unterschiedslos in seinen Gemeinden, bei allen Schwierigkeiten, die es nichtsdestotrotz auch damals gab.

Denn – das muss man ganz nüchtern sehen – die Zeiten waren damals auch nicht besser als sie heute sind. Auch damals gab es Spannungen, Parteiungen zuhauf, und wo fünf Christen waren, da gab es sechs Meinungen. Gerade deshalb musste Paulus ja so viele Briefe schreiben, und gerade deshalb kam es ja zu jener Äußerung über die Frau und ihr Schweigen in der Gemeinde.

Obschon anscheinend überall in den Gemeinden des Paulus üblich, kam es in Korinth zum Streit über die Frage nach dem Auftreten von Frauen. Und offensichtlich war der Streit so heftig, dass man Boten zu Paulus schickte, die ihm den Fall erklärten, und die ihn um eine Lösung des Problems baten. Anscheinend war ganz deutlich zu spüren, dass unter anderem an dieser Frage die Gemeinde zu zerbrechen drohte. Man stand anscheinend ganz kurz vor der Spaltung und vor dem Auseinanderbrechen der korinthischen Gemeinde. In dieser Situation zog Paulus so etwas wie eine Notbremse.

Das ist es nicht wert! Bevor an dieser Frage die Gemeinde zerbricht, bevor wir wegen solcher Nebensächlichkeiten das eigentliche Ziel aus dem Blick verlieren, bevor wir wegen solcher Fragen letztlich das Ganze dann in Frage stellen, da sollen sich die Frauen halt, in Gottes Namen, in Korinth zurückhalten. Neues, auch wenn man es für richtig hält, lässt sich eben nicht durchsetzen, wenn die Zeit dafür offensichtlich noch nicht da ist.

Deshalb schreibt Paulus diesen Satz - nicht weil er etwas gegen Frauen hätte, sondern weil er für das, was er ansonsten eigentlich als selbstverständlich ansah, bei den Betonköpfen in Korinth keine Chance sah. Wegen dieses Streites aber am Ende alles in Frage zu stellen, das war für Paulus die Sache absolut nicht wert.

Erst später, als man die Aussagen des Paulus dann in ihrer heutigen Form zu Briefsammlungen zusammenstellte, erst damals wurde aus dieser situationsgebundenen Auskunft nach Korinth durch die Zufügung der Worte: "Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist,..." eine allgemeine Regel gemacht. Nur darf man das dann nicht dem Paulus in die Schuhe schieben, ganz im Gegenteil:

Von Paulus können wir viel lernen – viel für die Gemeinden unserer Zeit. Nicht zuletzt deshalb, weil so vieles in unseren Gemeinden so sehr im Umbruch ist, wie es seit den Zeiten des Anfangs kaum einmal gewesen ist.

Wir können von Paulus zum Beispiel lernen, dass keine Frage letztlich wert ist, sich über sie am Ende so zu zerstreiten, dass wir die eigentliche Mitte aus dem Blick verlieren. Wir können lernen, dass dort, wo Betonköpfe aufeinanderprallen, keine Lösungen entstehen – an keinem Ort und zu keiner Zeit. Wo Standpunkte felsenfest zementiert sind, hüben wie drüben, dort gibt es keine Bewegung und erst recht keine Lösung.

Wir können von Paulus aber auch lernen, dass wenn etwas an einem Ort nicht möglich ist, dass dies noch lange nicht bedeutet, dass es überall unmöglich sein muss. Was in Korinth unmöglich war, das kann in Ephesus schon gang und gäbe sein.

Paulus hat gewusst, dass Gemeinden und Kirche selten wie feste Häuser sind – statisch und fest gemauert. Häuser kann man nicht mitnehmen. Wenn man als Gottesvolk unterwegs ist, dann braucht man Zelte. Ein Dach über dem Kopf, das sich dem Untergrund anpasst, das auch in veränderten Zeiten und anderen Situationen immer noch passend ist, das zusammenhält, dessen feste Stricke und Masten das Ganze sehr stabil machen, auch bei Wind und Wetter, das aber flexibel auf die unterschiedlichsten Gegebenheiten zu reagieren weiß.

Wir können viel von Paulus lernen, für unsere Kirche und für unsere Gemeinden. Bauen wir Gemeinde wie ein Zelt, ein Zelt das Schutz bietet – Schutz vor Wind und Wetter, das einen Raum zum Ausruhen bietet und das wärmt, das die Wärme bewahrt, wenn die Kälte der Nacht hereinbricht oder draußen Stürme toben, in dem arm und reich, Mann und Frau, Alt und Jung in gleicher Weise aufgehoben und geborgen sind, das wir aber nicht, wie ein festes Haus etwa, an einem Ort zurücklassen müssen, wenn wir weitergehen, sondern das uns auch unterwegs beschützt und das uns begleitet, wenn wir als Gottesvolk unterwegs sind.

Denn wir sind unterwegs, wir sind das wandernde Gottesvolk, unterwegs auf ganz unterschiedlichen Wegen, auf Wegen durch die abenteuerlichsten Zeiten, durch Zeiten abenteuerlich, spannend und interessant, so interessant wie das Leben eben.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 27./28. Juni 1998 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)