Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


4. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr A (Joh 10,1-10)

In jener Zeit sprach Jesus: Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter, und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte. Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und aus gehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. (Joh 10,1-10)

"Wenn dich ein Fremder anspricht! Wenn da einer zu Dir sagt, 'Komm, ich hab' da was Schönes für dich!', dann geh' ja nicht mit! Unter keinen Umständen darfst du mit jemandem mitgehen, den du nicht ganz, ganz gut kennst!"

Jedem Kind schärfen wir das immer wieder ein. Und das aus gutem Grund.

Liebe Schwestern und Brüder,

im heutigen Evangelium schärft uns Jesus genau das Gleiche ein! Oder besser gesagt: Er geht davon aus, dass wir es wie selbstverständlich beherzigen!

Einem Fremden, dessen Stimme man nicht kennt und von dem man nicht weiß, was er mit einem vorhat, dem kann man nicht folgen! Und selbst dann, wenn man jemanden gut zu kennen glaubt, selbst dann muss man sich fragen und sogar immer wieder fragen, was man denn wirklich von ihm weiß.

Will er denn tatsächlich mein Bestes? Und will er es wirklich für mich, oder will er mein Bestes am Ende nicht gar für sich!

Blind zu vertrauen und blind zu gehorchen kann fatale Folgen haben. Gerade in Deutschland haben wir vor siebzig Jahren nur allzu deutlich und allzu schmerzhaft erfahren müssen, was blinder Gehorsam am Ende bewirkt. Und ich frage mich mehr als nur manchmal, wie Menschen - nach all den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts - immer noch so verblendet sein können, dass sie nicht sehen, wie sie von falschen Hirten, denen sie blind vertrauen, nicht auf fruchtbare Weiden, sondern auf Schlachtfelder geführt werden. Wer den Kadavergehorsam pflegt, der darf sich nicht wundern, wenn es am Ende nach Tod und Verwesung zu riechen beginnt.

Gehorsam zu sein, auf die Stimme eines anderen zu hören, das enthebt mich nie der Verpflichtung, den eigenen Verstand zu gebrauchen, das enthebt mich nicht der Pflicht, mir selbst darüber klar werden zu müssen, was ich tun darf und was nicht, was richtig ist und was - trotz aller Anordnungen - falsch genannt werden muss. Es enthebt mich nicht der Verantwortung, die ich trotz aller Führer und Hirten dieser Welt für mein eigenes Tun am Ende immer alleine habe.

Das gilt im Alltag, das gilt in der Politik und das gilt nicht minder in meinem Glaubensleben.

Sicher, wer unbekannte Wege geht, der vertraut sich am besten einem Führer, einem Hirten an. Wer am Ende aber ankommen möchte, der schaue zweimal hin, welchem Hirten er sich anvertraut.

Und Jesus selbst, der eigentliche, der gute Hirte, liefert uns ordentliche Kriterien, an denen wir unsere Hirten messen können.

Jesus nämlich ging es immer um den Menschen. Für ihn stand der Einzelne und sein Leben immer im Mittelpunkt. Deshalb ist er Mensch geworden, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben.

Hirten im Sinne Jesu haben deshalb auch immer den Menschen im Blick. Und überall dort, wo Buchstaben und Gebote plötzlich wichtiger werden als die Menschen, für die sie gemacht sind, wo Ideen und Ideologien plötzlich mehr Gewicht bekommen als der einzelne Mensch, dort sind die falschen Hirten am Werk, Hirten, von denen ich mir nur wünschen kann, dass immer weniger Menschen auf sie hereinfallen.

Und noch ein zweites Kriterium gibt uns Jesus selbst an die Hand. Falsche Hirten weisen nämlich nur den Weg. Sie sind wie Wegweiser, die starr und unbeweglich in der Landschaft stehen, die allen zeigen, wo sie lang zu gehen haben, die selbst aber den Weg, den sie anderen weisen, keinen Zentimeter gehen.

Diejenigen, die vom hohen Ross und Sockel aus regieren, die sich selbst aber zu fein sind, mit anzupacken oder sich die Hände schmutzig zu machen, die die Konsequenzen nur andere ausbaden lassen, selbst aber immer fein raus sind, das sind die falschen Hirten.

Der gute Hirt muss sich an Jesus messen lassen. Er nämlich hat nicht nur einen Weg gezeigt, er ist ihn vom Anfang bis zum Ende mitgegangen. Und dort, wo der Weg am beschwerlichsten wurde, dort ist er sogar vorausgegangen.

Solch einem Hirten kann man folgen, so jemandem kann man vertrauen, ihm kann man sich anschließen.

Von allen anderen aber sollte man ganz schnell die Finger lassen.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 14. Mai 2011 in der Antoniuskirche, Bruchsal
Aktualisierung der am 24./25. April 1999 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal, gehaltenen Predigt)