Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. November - Hochfest Allerheiligen (Mt 5,1-12a) und
4. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 5,1-12a)
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,1-12a)
Eigentlich fehlt jetzt nur noch eines in dieser Liste der Seligpreisungen. Eigentlich fehlt jetzt nur noch: Selig die Dummen, die sich alles gefallen lassen.
Liebe Schwestern und Brüder,
zumindest hat es manchmal den Anschein, als liefe es letztlich genau darauf hinaus. Die Friedfertigen, die Sanftmütigen, diejenigen, die reinen Herzens sind, das sind die, die immer noch dastehen und einen guten Eindruck machen, während sich alle anderen schon die dicksten Stücke aus dem Kuchen herausgebrochen haben und in dicken Schlitten davongefahren sind.
Manchmal glaube ich es schon selbst, dass wirkliche Christen am Ende eben diejenigen Menschen sind, die sich von allen anderen übers Ohr hauen lassen und immer den Kürzeren ziehen.
Aber hat Jesus das wirklich gemeint? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Auch wenn unsere Begriffe danach riechen, auch wenn das Wort "Sanftmut" nach jemandem klingt, der nie aufbegehrt, immer die andere Wange hinhält und schon gar kein lautes Wort von sich gibt, ich denke nicht, dass Jesus eine Kultur des Duckmäusertums, des "Nicht-Auffallens" und "Alles-mit-sich-machen-Lassens" gepredigt hat.
Er selbst hat schließlich sehr deutlich Stellung bezogen. Er ist hingestanden und hat die Händler aus dem Tempel vertrieben. Er hat sie mit deutlichen Worten belegt, die ach so einflussreichen Leute seiner Heimat: Schlangenbrut und Natterngezücht hat er sie genannt. Klein beigegeben hat er nie, wenn es ums Eingemachte ging. Keineswegs: Selig, die alles mit sich machen lassen. Eine starke Persönlichkeit war er.
Und starke Persönlichkeiten finden sich allenthalben unter denen, die die Nachfolge Christi so gelebt haben, dass wir sie noch heute als Vorbilder des Glaubens ehren. Angefangen bei einer Theresa von Avila oder einer Katharina von Siena, die sich nicht gescheut haben, Päpsten die Meinung zu sagen, bis hin zu Christen im Widerstand gegen einen unmenschlichen Staat und eine widergöttliche Gesinnung - Menschen, wie es sie hier vor 60, 70 Jahren Gott-sei-Dank in nicht geringer Zahl gegeben hat.
Glaube hat nichts mit Kopf einziehen und Friedfertigkeit nichts mit Schwäche zu tun. Ganz im Gegenteil. Es gehört wesenhaft zur Nachfolge Christi dazu, dass man Fehler Fehler und Unrecht beim Namen nennt.
Das scheint mir in letzter Zeit ein wenig verloren zu gehen. Christen scheinen eigentlich alles mit sich machen zu lassen.
In so mancher Diskussion, die man im Fernsehen mitverfolgen kann, entsteht mittlerweile der Eindruck, als wären Christen grundsätzlich mit dem, was hier vor sich geht, völlig einverstanden. Dagegen sind eigentlich nur die Muslime, für Christen ist alles kein Problem.
Da schlagen die Wogen hoch, weil in Berlin eine Oper abgesetzt wurde - abgesetzt, weil man Angst vor Islamisten hatte. Und dann treten Politiker auf, die sich furchtbar darüber ärgern und mit den christlichen Werten argumentieren und der Freiheit der Kunst, die man nicht opfern dürfe.
Ich weiß nicht, welche Werte und was für einen Freiheitsbegriff diese Menschen meinen. Heißt denn Freiheit tatsächlich, dass man alles tun darf, was man will und selbst für richtig hält? Gibt es für die Freiheit denn wirklich keinerlei Grenzen mehr? Habe ich nicht einmal gelernt, dass es Freiheit nur in Gerechtigkeit gibt? Und dass meine eigene Freiheit genau an der Freiheit des Anderen an ihre Grenzen stößt? Hat Kunst denn wirklich das Recht, nicht nur für Diskussionen zu sorgen, pointiert und selbst übertrieben die Dinge zu benennen, ja im wahrsten Sinne des Wortes zu schockieren und zu provozieren - das in allen Ehren - gibt es darüber hinaus aber ein Recht, andere Menschen zu verletzen?
Es tut mir leid, ich glaube nicht, dass sich nur Muslime an solchen Aufführungen stören. Auch ich will keinen abgeschlagenen blutüberströmten Jesuskopf im Namen welcher Kunst auch immer auf einer Opernbühne sehen. Das tut mir weh und das verletzt mich und mein religiöses Gefühl. Und ich erwarte von einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft zumal bei Aufführungen, die mit meinen Steuergeldern subventioniert werden - nein, nicht dass man meine Gefühle teilt, aber dass man sie respektiert und nicht auch noch mit Füßen tritt.
Damit wir uns nicht missverstehen. Es geht nicht darum, dass man an Religion und Kirche keine Kritik üben dürfte. Macht die Priester lächerlich - ach wie oft haben sie es sogar verdient. Spottet über die Kirche - die hat alle Fehler der Welt. Kritisiert den Papst und zieht ihn durch den Kakao, auch er ist nichts anderes als ein Mensch mit all seinen Fehlern. Aber tretet das Heilige nicht mit Füßen.
Sind sich die Macher solcher Inszenierungen überhaupt darüber im Klaren, wer Jesus Christus für mich ist? Mit dem Kopf Christi spielt man nicht.
Eines der größten Defizite unserer Gesellschaft wird mir an diesem Punkt ganz besonders deutlich. Uns ist gemeinhin die Ehrfurcht verloren gegangen - die Ehrfurcht vor dem, was Menschen heilig ist. Eine Gesellschaft aber, in der es keine Ehrfurcht vor dem Heiligen mehr gibt, die wird kaum lange Bestand haben können.
Ja, es ist falsch und man kann es nicht genug betonen: Es ist es sogar abgrundtief verachtenswert, mit Bomben und Raketen seine Meinung durchsetzen zu wollen. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung, am wenigsten durch den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und es darf nicht passieren, dass die Angst in unserem Land das Handeln von Politik, Kunst und Kultur bestimmt.
Aber um Grenzen sollte man wissen. Ich muss darum wissen, wo mein Tun - auch als Kunst- und Kulturschaffender - an seine Grenzen stößt: Dort nämlich, wo es die Ehrfurcht vor dem, was Menschen heilig ist, verletzt.
Am Tag Allerheiligen, an dem wir der Menschen gedenken, die uns auf so eindrucksvolle Weise auf den Heiligen, auf Gott selbst verweisen, an diesem Tag, sei dies wieder einmal ganz besonders ins Bewusstsein gerufen: Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen, die gilt es wiederzuentdecken, ganz besonders in unseren Breiten.
Und wo das Heilige mit Füßen getreten wird, dort muss man auch den Mund aufmachen.
Amen.
(gehalten am 31. Oktober / 1. November 2006 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)