Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
28. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 22,1-10)
In jener Zeit erzählte Jesus den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete. Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen, Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit, Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren es nicht wert, eingeladen zu werden. Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft zur Hochzeit ein. Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen. (Mt 22,1-10)
Für Juden sind das keine guten Wochen.
Liebe Schwestern und Brüder,
und ich meine dabei jetzt nicht die Ereignisse in der großen Politik. Ich denke jetzt weniger an die Stimmungslage in der Gesellschaft und den immer wieder aufflackernden Antisemitismus in unserem Land, den es auch heute ungebrochen bei uns gibt.
Nein, ich denke jetzt zuallererst an unsere Gottesdienste und die Texte, die wir in diesen Wochen in der Liturgie zu hören bekommen.
Das war ja schon letzte Woche der Fall, als es im Evangelium um die bösen Winzer ging, denen der Besitzer des Weinbergs letztlich ein böses Ende bereiten wird. Und wenn es da am Schluss dann heißt, dass diesen Menschen das Reich Gottes weggenommen wird und einem Volk gegeben werde, das die erwarteten Früchte bringt, dann schwang für christliche Ohren zu allen Zeiten natürlich mit, dass mit diesem enterbten Volk letztlich die Juden gemeint waren, deren Stelle jetzt die Christen als das neue Volk Gottes eingenommen hätten.
Und diese Woche ist es kein bisschen anders.
Der Evangelist schreibt schließlich um das Jahr 90 nach Christus. Und wenn er im Gleichnis davon berichtet, wie der König zornig sein Heer schickt, die Mörder töten ließ und ihre Stadt in Schutt und Asche legte, dann ist das eine klare Anspielung auf den jüdischen Krieg, in dem Jerusalem und der dortige Tempel ja bekanntermaßen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Für die Christen dieser Zeit war das die offensichtliche Strafe für die Gottesmörder, als die man die Juden ja auch damals, zum Ende des ersten Jahrhunderts in christlichen Kreisen betrachtete.
Im Johannesevangelium wird das dann überdeutlich werden. Denn dort sind es ausdrücklich die Juden, die schreien: "Ans Kreuz mit ihm!" Und der johanneische Jesus spricht auch ganz oft zu den Juden, als wäre er alles - nur nicht selbst einer von ihnen.
Das nicht sehen zu wollen, das hieße blauäugig an die Texte heranzugehen. Das Evangelium ist von Judenfeindlichkeit nicht frei und diese Texte haben in den zurückliegenden Jahrhunderten bis hinein in unserer jüngste Vergangenheit immer wieder herhalten müssen, um Judenverfolgungen und Judenhass zu rechtfertigen. Und Paulus steht bei diesem Treiben recht allein auf weiter Flur, wenn er im Römerbrief ausdrücklich daran erinnert, dass Gottes Verheißung an sein auserwähltes Volk ungebrochen gilt.
Das las man, aber man zog nicht wirklich Konsequenzen daraus. Im Christentum gab es zu allen Zeiten große Ressentiments gegen das jüdische Volk. Das anzuerkennen, darum kommen wir nicht herum.
Aber wenn es im Evangelium doch so steht! Sind solche Vorbehalte nicht durch die Heilige Schrift dann sogar gedeckt und völlig in Ordnung?
Nein, das sind sie nicht! Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass die Schrift wohl Gottes Wort ist. Aber sie ist genauso Menschenwort. Die Bibel ist - wie unsere Theologie ausdrücklich sagt -, Gottes Wort in Menschenwort. Und das heißt, dass jedes Wort von einem Menschen geschrieben wurde und geprägt ist von dessen Stil, seinem Wissen und der Zeit, in der dieser Mensch schrieb.
Bei der Auslegung der Texte darf man das nie vergessen. Man darf nie beim bloßen Wortlaut stehen bleiben. Man muss stets durch den Text hindurchfragen, danach fragen, was dieses Wort von Gott kündet und was Gott uns damit sagen will.
Wer nach naturwissenschaftlichen, nach physikalischen und astronomischen Gegebenheiten fragt, der wird bei biblischen Texten ganz oft beim Menschenwort hängen bleiben. Und Menschen sind geprägt von ihrem unvollkommenen Wissen, ihren Vorstellungen und manchmal auch ihren irrigen zeitgebundenen Wahrnehmungen. Selbst wer nach geschichtlichen Zusammenhängen sucht, wird sich der Bibel nur mit Vorsicht und keineswegs vergleichbar einem modernen Geschichtswerk nähern können.
Es kann nicht darum gehen die Bibel in diesem Sinne wörtlich zu nehmen. Wir können sie nicht wörtlich, wir müssen sie ernst nehmen. Es gilt ernst zu nehmen, was Gott uns mit auf den Weg geben möchte. Und das ist etwas anderes als bei den Worten kleben zu bleiben.
Wer das beim heutigen Text tut, der steht nämlich ganz schnell in der Gefahr, einem ganz großen Irrtum zu unterliegen. Er könnte sich rasch in der Gefahr wiederfinden, sich zurücklehnen zu wollen und sich vorzumachen, dass wir es ja gut hätten: Die ursprünglichen Gäste, die Juden nämlich, die seien mittlerweile ja ausgeladen, und jetzt wäre das Gastmahl unser.
Er könnte Gefahr laufen, dieses Gleichnis auf diese Art wortwörtlich, aber völlig falsch zu verstehen. Denn heute geht es nicht darum, dass manche ausgeladen sind, andere aber das Heil jetzt gleichsam gepachtet hätten. Heute geht es darum, dass Gott nicht locker lässt, dass er den Menschen nachgeht und nicht ruhen wird, bis er seine Menschenkinder um sich versammelt hat: Gute und Böse, Juden und Heiden, Männer und Frauen, woher sie auch sein mögen.
Und es geht natürlich darum, dass alle, die gerufen sind und Gottes Ruf folgen - wie es letzten Sonntag so treffend hieß -, Frucht bringen sollen, Frucht die bleibt, Frucht an Menschlichkeit, an Barmherzigkeit und Frucht an Gerechtigkeit den Menschen gegenüber.
Darum geht es, nicht um Geringschätzung der Juden. Denn das hatte Jesus nie im Sinn. Er selbst war Jude, und er hat sich als solcher gefühlt und zuerst und zumeist hat er zu den Juden, zu seinen Brüdern und Schwestern, gesprochen, sich um sie gesorgt und mit ihnen und auch für sie gelitten. Das gilt es im Auge zu behalten, wenn wir uns solchen biblischen Texten nahen.
Denn wir sollten nie den Fehler begehen, die Bibel wörtlich zu nehmen. Wir sollten sie nicht wörtlich, wir sollten sie vielmehr ernst - nicht wörtlich, ernst sollen wir die Bibel nehmen!
(gehalten am 11./12. Oktober 2014 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)