Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
3. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 4,12-17)
Als Jesus hörte, dass man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, zog er sich nach Galiläa zurück. Er verließ Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali. Denn es sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa: das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen. Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. (Mt 4,12-17)
Ein junger Mönch in einem Kloster kam einmal zum Spiritual seines Ordens. Er hatte ein großes Problem und er wollte sich nun bei diesem erfahrenen, alten Mönch einmal richtig aussprechen, das Problem so richtig von der Seele reden. Und er war gespannt, was ihm der alte Pater wohl raten würde. "Vater", sagte unser junger Mönch, "ich glaub', ich kann nicht im Kloster bleiben. Gut, ich war schon begeistert, als ich vor einigen Jahren hier eingetreten bin. Und ich habe auch geglaubt, dass ich hier ganz aufgehen könnte, dass ich da tatsächlich meine Erfüllung finden würde. Aber jetzt... Wenn ich beim Chorgebet dabei bin, dann merke ich, dass ich seit geraumer Zeit gar nichts mehr spüre. Und in der Messfeier, wo ich noch bis vor kurzem die ganze Nähe Gottes so richtig hautnah zu erfahren glaubte, da ist plötzlich auch nichts mehr. An der Arbeit finde ich keine Freude mehr, im Gebet keine Erfüllung und in der Gemeinschaft keinen Halt. Es ist plötzlich alles so dunkel um mich herum, ich weiß gar nicht mehr, wohin, in welche Richtung ich gehen soll. Ich glaube, ich kann nicht im Kloster bleiben."
Der alte Mönch hatte ganz ruhig zugehört. Er hatte manchmal ganz leicht genickt, hatte sein Gegenüber lange und ganz tief angesehen und nachdem der junge Mönch geendet hatte, da hat er eine ganze Weile geschwiegen. Beide saßen ganz still da. Dann, nach einiger Zeit, begann er ganz ruhig zu sagen: "Schauen Sie, wir haben viel Wald um das Kloster herum. Früher, vor vielen Jahren, als ich ins Kloster eingetreten bin, da war dieser Wald noch sehr viel dichter. An manchen Stellen war es ein richtiges Dickicht. Ich erinnere mich da noch sehr gut, wie ich einmal eine Besorgung zu machen hatte. Der Vater Abt hat mich am Nachmittag losgeschickt, aber niemand hatte bedacht, dass es spät werden konnte. Es wurde schon dunkel, als ich mich auf den Rückweg machte, und als ich den Wald durchqueren wollte, da war es plötzlich so finster, dass ich den Weg nicht mehr fand. Ich wusste, ich war eigentlich schon ganz nah am Kloster, aber die Nacht war so finster, dass ich mich immer nur noch weiter in das Dickicht verirrte. Es blieb mir eigentlich nur noch eines übrig!"
"Sie haben sicher gebetet!" sagte der junge Mönch ganz eifrig! - "Ich habe mich hingesetzt!" erwiderte der alte Pater, "und ich habe gar nichts getan! Ich habe ganz einfach gewartet, bis es hell geworden ist! Und dann hab' ich den Weg zum Kloster ganz leicht und auch sehr schnell wieder gefunden!
Machen Sie nichts, mein Freund, machen sie gar nichts! Setzen Sie sich hin und warten Sie, bis es hell wird!"
Liebe Schwestern und Brüder,
soweit dieser alte Mönch, soweit diese Geschichte! Und vielleicht ist es ja auch nur eine Geschichte. Aber wenn, dann ist es eine sehr tiefe Geschichte, eine Geschichte aus sehr tiefer Erfahrung heraus, vor allem aus der Erfahrung der Dunkelheit heraus! Eine Erfahrung, die jeder Mensch - und damit auch jeder von Ihnen - entweder schon mehr als einmal gemacht hat, oder mit Sicherheit noch 'zig Mal in seinem Leben machen wird: diese Erfahrung von Dunkelheit! Dieses Gefühl, dass plötzlich alles, was noch vor Tagen so klar und deutlich gewesen ist, zu verschwimmen droht, seine Konturen verliert. So, dass man plötzlich nicht mehr weiß, was es denn eigentlich noch soll, warum das alles vor so kurzer Zeit für einen noch so wichtig gewesen ist.
Es gibt diese Zeiten, in denen man plötzlich nichts mehr sieht, in denen die Sinn-Helle einer drückend leeren Dunkelheit weicht, einer Dunkelheit, die einen sehr leicht der Gefahr nahe bringt, fehlzugehen, sich im Dickicht zu verrennen und plötzlich zu meinen, um keinen Ausweg mehr zu wissen.
Das ist für mich der Inbegriff dessen, was die Schrift damit meint, wenn sie vom "Volk, das im Dunkeln sitzt" spricht! Das ist der Inbegriff jener Tage und Wochen, in denen man dann verbissen nach Auswegen sucht und keine findet, in denen man noch so große Anstrengungen unternehmen kann und nichts mehr gelingt.
"Tun Sie nichts, mein Freund, tun Sie gar nichts! Warten Sie ganz einfach, bis es hell wird!"
Wahrscheinlich ist es so, wahrscheinlich gibt es Situationen, in denen ich ganz einfach gar nichts tun kann, so, wie ich in der Nacht auch nur darauf warten kann, dass es wieder Morgen wird! Nachts vertraue ich darauf! Kaum jemand von uns legt sich ins Bett, ohne die feste Gewissheit zu haben, dass am anderen Morgen die Sonne wieder aufgehen wird! Die Schrift will uns darin versichern, dass dies nicht nur in der Finsternis der Nacht so ist! "Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht. Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf!"
Es gibt diesen Sonnenaufgang auch in den übrigen Finsternissen unseres Daseins. Gott selbst sagt ihn uns zu. Ich muss ihn nur erwarten können, die Dunkelheit aushalten, im Vertrauen auf das neue Licht des kommenden Tages! Und ich bin sicher, dass dies keine leere Erwartung ist. Ich bin mir sicher, dass sie genauso zuverlässig ist, wie die Erwartung eines neuen Morgens. Ich glaub' ganz fest daran, denn wer mich kennt, der weiß, einmal zumindest hab ich's selbst ganz deutlich erfahren.
Amen.
(gehalten am 21. Januar 1996 in der Schlosskirche Mannheim)