Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr A (Joh 14,15-21)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. (Joh 14,14-21)
"Das habe ich nicht gewollt", so steht es in großen Lettern am Kamin des Rittersaals auf der Hohkönigsburg.
Als kleines Kind las ich diesen Satz zum ersten Mal. Damals begriff ich noch nicht, dass diese Worte von Kaiser Wilhelm II. während des Ersten Weltkrieges ausgerufen worden sein sollen und dann hier auf der Burg im Elsass verewigt wurden. Die französische Führung von damals verstand ich ja noch nicht.
Aber dieser Satz hat mich nicht mehr losgelassen. Ich las nur, dass da jemand war, der etwas nicht gewollt hatte, aber man hatte es offenbar doch getan. Und ich hatte ungeheuer Mitleid mit ihm.
Liebe Schwestern und Brüder,
solches Mitleid hatte ich später dann manches Mal mit unserem Erzbischof Oskar Saier.
Was der alles gewollt haben soll! Schon wenn das Mittagessen im Priesterseminar auf eine andere Uhrzeit verschoben wurde, hieß es, dass dies Wunsch und Wille des Erzbischofs sei, damit es ja keine Diskussionen darüber gebe. Was da alles in seinem Namen angeordnet wurde! Von wie vielem hat er wohl nie etwas gewusst.
Das geht ja schon mir so, wenn ich wieder einmal erfahre, was ich alles gesagt haben soll und was ich alles nicht haben will oder sogar verboten habe! Fast immer höre ich davon dann zum ersten Mal.
Offenbar ist es ganz häufig problematisch, wenn man nur über Dritte erfährt, was jemand denn wirklich will. Und wenn man denjenigen dann nicht ganz gut kennt, kann man ganz schnell ein völlig schiefes Bild von ihm bekommen.
Zum Glück kennen wir diesen Jesus von Nazareth. Gott sei Dank, können wir durch die Texte der Schrift hindurch ein gutes Stück weit erahnen, wer und vor allem, wie er war. Und wir können seine Menschenfreundlichkeit und seine Güte greifen. Und wir wissen deshalb auch, wie viel schon in seinem Namen - und das als angeblicher Wille Christi - letztlich an Verbrechen begangen wurde.
Dieser Jesus, der uns im Evangelium begegnet, der wollte keinen Kreuzzug und er wollte auch keine Inquisition. Und wenn selbst heute noch Engherzigkeit, Frauen- und Leibfeindlichkeit, unfrei machende Gesetzesfrömmigkeit und falsches Opferverständnis in Jesu Namen gepredigt werden, und manchmal sogar von höchster Stelle, dann ist das alles, nur nicht sein Wille.
Gott sei Dank lässt sich mit ein klein wenig Mühe von Jesus selbst her erheben, dass ihm nichts ferner lag als dies.
Fragen Sie ihn deshalb zuallererst immer selbst. Spüren Sie nach, was er jetzt - in genau dieser Situation - von Ihnen wohl will. Fragen Sie sich, was er jetzt wohl sagen würde, wenn er Ihnen gegenüberstände, und versuchen Sie dabei seine Güte und Menschenfreundlichkeit zu spüren.
Ich bin mir ganz sicher, Sie werden ihm dadurch sehr viel näher kommen als im Blättern von noch so vielen Vorschriften und noch so dicken Handbüchern.
Fragen Sie nicht zuerst nach dem Bild, das der Ballast von Geschichte und Tradition über ihn zusammengetragen hat. Fragen Sie nach Jesus selbst. Viel zu oft kommt nämlich sonst am Ende etwas dabei heraus, von dem nicht nur Sie sagen werden: Das hat dieser Jesus, das hat er sicher nicht gewollt!
Amen.
(gehalten am 29. Mai 2011 in der Antonius-, und Peterskirche, Bruchsal)