Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


23. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 18,15-20)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,15-20)

Und jetzt sind es drei.

Seit dem 1. September sind wir drei. Keine drei Menschen - das wäre jetzt doch etwas wenig - aber drei Gemeinden: St. Peter, St. Paul, St. Anton. Und wie sagt Jesus: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!"

Liebe Schwestern und Brüder,

als ich noch vor den Ferien den Text für den heutigen Sonntag erstmals angeschaut habe, habe ich meinen Augen nicht trauen wollen. Das ist fast so, als wollte uns Jesus, genau dieses Wort mit auf den Weg geben. "Wo drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!"

Das ist nicht nur ein Bibelwort - für mich klingt das heute wie eine kleine Überschrift über all das, was jetzt auf uns zukommt. Jesus selbst gibt uns das Versprechen: Egal, was euch dreien jetzt auch widerfährt, ich bin dabei!

Und das tut gut.

Denn eigentlich haben alle augenblicklich ja nur Angst. Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden in unseren Gemeinden gibt, der sich auf die Seelsorgeeinheit wirklich freuen würde.

Ich frage mich seit Wochen, wie wir all die verschiedenen Aspekte unter einen Hut bringen sollen, wie den unterschiedlichsten Anforderung und Erwartungen auch nur im Geringsten gerecht zu werden ist.

Die Gemeinden St. Peter und St. Paul, die sich manchmal recht mühsam gerade so an den Gedanken gewöhnt haben, dass man jetzt halt in einem Boot sitzt und Dinge gemeinsam angehen muss, fühlen sich plötzlich mit der Vorstellung konfrontiert, dass man sich jetzt auch noch auf einen weiteren Partner einstellen muss, noch weiter zurückstecken, und sich von noch mehr liebgewordenen Gewohnheiten verabschieden darf, als es in der Vergangenheit schon der Fall gewesen ist.

Und St. Anton hat den eigentlichen Pfarrer nicht mehr vor Ort, weiß, dass es den Neuen viel weniger sehen wird als den Meisten lieb, und hat auch - ohne ihn wirklich zu kennen - schon viel zu viel von ihm gehört, als dass man einfach ganz unvoreingenommen aufeinander zugehen könnte.

Und dann kommt noch dazu, dass sich eigentlich niemand - und ich am allerwenigsten - richtig vorstellen kann, was eine Seelsorgeeinheit eigentlich sein soll, wo man denn die Schwerpunkte wirklich setzen muss, wo es notwendig ist, Dinge gemeinsam anzugehen und damit auch zu zentralisieren, und wo es wichtig ist, Dinge vor Ort zu belassen und die Eigenständigkeit - dann aber auch eine Eigenständigkeit ohne Pfarrer - zu stärken und manchmal auch in Kauf zu nehmen.

All das sind Fragen, von denen heute noch fast keine geklärt ist. Da gilt es auszuprobieren, Lehrgeld zu bezahlen und auch Unsicherheiten auszuhalten. Aber alles was unsicher ist, das befremdet eben. Und alles Befremdliche wirkt bedrohlich und macht Angst.

Deshalb ist der Prozess, in den wir jetzt alle hineingeworfen sind, auch so kompliziert, und deshalb verlangt er von jedem und jeder von uns auch eine ganze Menge. Nicht zuerst irgendeine Arbeit - das nicht; tun müssen wir zunächst einmal eigentlich gar nichts. Verlangt wird eigentlich etwas, was letztlich aber dann noch viel schwerer wiegt: Bereitschaft nämlich.

Es geht um die Bereitschaft, sich auf das Neue wirklich einzulassen - nicht alles, was anders wird, gleich abzulehnen, weil es eben anders ist, sondern in allem auch die Chancen zu entdecken, die sich darin auftun.

Wer sagt uns denn, dass alles, was anders wird, denn unbedingt schlechter sein muss als das, was früher war.

Wenn sich die Art unserer Erstkommunionfeiern etwa verändert - und es wird ganz zwangsläufig so sein, dass sie nicht so bleiben können, wie es früher gewesen ist - wer sagt uns aber, dass am Ende nicht etwas dabei herauskommt, was für unsere Kinder viel angemessener und passender ist.

Wenn Verantwortlichkeiten, Kommunikationswege, Strukturen in unseren Gemeinden anders und auch unmittelbarer werden, wer sagt uns denn, dass dadurch das Leben vor Ort möglicherweise nicht sehr viel mehr gestärkt werden wird, als jemals zuvor.

Wir brauchen ganz einfach die Bereitschaft, uns auf das Neue einzulassen.

Aber jetzt nicht nur irgendeine theoretische Bereitschaft - so im Sinne von: Im Prinzip ist mir völlig klar, dass sich vieles ändern wird, und das ist auch notwendig so - außer wenn es mich betrifft! Vor allem, wenn es mich betrifft: die Erstkommunion unseres Kindes, unsere Hochzeit, den geplanten Tauftermin oder auch die Trauerfeier und die Beerdigung eines lieben Angehörigen, vor allem da, wo es mich selbst betrifft, braucht es das Verständnis und die Bereitschaft, mich auf Veränderungen, zunächst einmal Ungewohntes und Neues wirklich einzulassen.

Dafür kann ich eigentlich nur werben und Sie alle ganz dringend darum bitten.

Und vermutlich werden wir über viele Punkte in den nächsten Wochen und Monaten ganz einfach sehr viel miteinander reden müssen. Wir müssen die Notwendigkeiten publik machen, die Hintergründe erklären und auch selber verstehen lernen, warum Dinge plötzlich möglich sein sollen, die in der Vergangenheit vielfach undenkbar schienen.

Wer hätte vor vierzig Jahren damit gerechnet, dass in unserer Kirche einmal Frauen beerdigen!

Die Hintergründe verstehen und auch einordnen zu können, das scheint mir ganz besonders wichtig zu werden. Ich glaube, dass Bildungsarbeit, religiöse Bildungsarbeit, deswegen in der nächsten Zeit auch ein ganz besonderer Schwerpunkt sein muss.

Wir müssen uns neu klar machen, warum wir bestimmte Dinge so tun, wie wir sie angehen, warum wir sie in der Vergangenheit so und nicht anders angegangen sind und weshalb manches davon heute anders geregelt werden kann und manches eben auch nicht.

Nur so sehen wir wirklich, woran wir unter keinen Umständen rütteln dürfen und was für unseren Glauben unverzichtbar ist und was eben auch anders werden kann und deswegen heute auch anders geordnet werden muss.

Dass es hier manche Verwirrungen gibt, dass hier auch viel Unklarheit besteht und die Unterscheidung der Geister alles andere als einfach ist, das habe ich in den letzten Wochen sehr deutlich spüren müssen, auch bei manchem Unsinn, den ich in Briefen und Stellungnahmen in ganz anderen Zusammenhängen zu lesen bekommen habe. Hier gilt es noch sehr viel aufzuarbeiten, ganz genau hinzuschauen und auch einige Überzeugungsarbeit zu leisten.

Für mich wird das in den kommenden Monaten ganz sicher ein ganz großer Schwerpunkt sein. Aber mit der Zusage im Hintergrund, die uns Jesus selbst heute gibt, habe ich da eigentlich gar keine Angst davor.

Wenn alle drei, St. Anton, St. Paul und St. Peter, wirklich in Jesu Namen diesen Weg gemeinsam beschreiten, dann dürfen wir sicher sein, das der Herr selbst diesen Weg mit uns geht. Er ist mitten unter uns und nimmt uns an die Hand. Und wenn wir uns von ihm wirklich leiten lassen, wenn wir seinem Geist den Raum bieten, unter uns anzusetzen, dann werden wir vielleicht in wenigen Jahren schon feststellen, dass es alles andere als schlimm war, als er uns am 1. September 2002 zusammen in ein Boot gesetzt hat. Alles andere als schlimm - ganz im Gegenteil!

Vielleicht werden wir über kurz oder lang sogar entdecken, dass eigentlich alles ganz gut, dass es so, wie es geworden ist, eigentlich ganz gut geworden ist.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 7./8. September 2002 in der Peters-,  Paulus- und Antoniuskirche, Bruchsal)