Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
25. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Phil 1,20ad-24. 27a)
Brüder! Darauf warte und hoffe ich, dass Christus durch meinen Leib verherrlicht wird, ob ich lebe oder sterbe. Denn für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn. Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht. Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein - um wieviel besser wäre das! Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe. Vor allem: lebt als Gemeinde so, wie des Evangelium Christi entspricht. (Phil 1,20ad-24. 27a)
Ich gebe es zu: Ich weiß nicht, was ich wählen soll! Oder besser gesagt, ich bin mir ganz unsicher, ob ich mich wirklich so entscheiden darf.
Liebe Schwestern und Brüder,
nicht dass Sie jetzt meinen: Ich rede jetzt nicht von der Bundestagswahl!
Aber von Wahl sind ja auch Texte des heutigen Gottesdienstes bestimmt - zumindest die Lesung aus dem Philipperbrief.
Um eine Entscheidung geht es da: auf der einen Seite das Leben bei Christus in der Vollendung - ein Leben, vor dem zugebenermaßen die Barriere des Todes steht. Auf der anderen Seite das Leben, das wir alle kennen: hier auf dieser Welt, mit den Lasten, den Mühen aber auch all den Freuden und den Menschen, die uns umgeben.
Ich weiß nicht, was ich wählen soll.
Müsste ich als Christ nicht eigentlich vor lauter Freude auf das Leben im Reich Gottes gleichsam vergehen? Müsste nicht eine riesige Sehnsucht danach mich schon fast verzehren?
Ich gebe es zu, so groß ist die Sehnsucht gar nicht!
Ich liebe das Leben und ich lebe ganz gerne hier. Ist es so falsch, die Tage, die mir geschenkt werden, mit den Menschen zusammen, die mich umgeben, ganz einfach zu genießen?
Es ist halt kein Jammertal, das ich hier erlebe. Es ist eine Welt, die sich zu gestalten lohnt. Bin ich da so falsch gepolt, wenn ich gar nicht so rasch von hier weg möchte?
Ich frag mich das ernsthaft. Und ich weiß, dass ich mit diesen Fragen nicht ganz alleine bin. Und ich bin froh darüber, dass es gestandenen und bedeutenden Christen mit diesen Fragen gar nicht so viel besser geht als mir.
"Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht!" Das sagt Paulus im Philipperbrief, in der Stelle, die wir eben als Lesung gehört haben.
Er war in Gefahr geraten, in irgendeine Todesgefahr sogar. Er hatte den Tod plötzlich unmittelbar vor Augen. Und er begann nun, sich seine ganz persönlichen Gedanken zu machen.
Ja, jetzt aufzubrechen und bei Christus zu sein - um wie viel besser wäre das. Er sah die Erfüllung all seiner Hoffnungen, all das, was er den Menschen über Jahre hinweg gepredigt hatte, plötzlich selbst greifbar nahe vor Augen. Und er, der Apostel, müsste doch jetzt eigentlich mit beiden Händen zugreifen.
Und tatsächlich: er spricht davon, dass ihm Sterben Gewinn bedeutet. Aber nichtsdestoweniger - im nächsten Satz schon heißt es: "Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht!"
Denn da sind die Menschen, die ihm am Herzen liegen, seine Arbeit, die noch lange nicht getan ist, all das, was noch vor ihm liegt und auch kaum von jemand anderem übernommen werden kann. Bei Christus zu sein ist vielleicht das Bessere, "aber euretwegen", so formuliert er es, "euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe."
Das eine ist das Bessere, das andere das Notwendigere. Paulus wählt zwei Komparative, um dieses Dilemma ins Wort zu bringen: besser und notwendiger. Da hat beides seinen ganz spezifischen Wert und eine wirkliche Entscheidung zwischen beidem kann es kaum geben. Das eine ist das Bessere, das andere das Notwendigere. Da lässt sich das eine nicht gegen das andere ausspielen.
Wenn sich aber schon Paulus nicht entscheiden kann, wie soll ich mich dann bei diesen Fragen zurechtfinden! Wenn er schon sein Leben und die vor ihm liegende Arbeit - für ihn unentscheidbar - neben das Sein bei Christus stellt, vielleicht liege ich dann ja gar nicht so verkehrt, wenn ich das, was jetzt eben gerade dran ist, dieses Leben, das mir von Gott anvertraut wurde, mit aller Aufmerksamkeit und all dem, was es mit sich bringt und bietet, ganz einfach lebe.
Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass es im Sinne Gottes wäre, dieses Geschenk einfach gering zu achten, das Leben gleichsam links liegen zu lassen, und nur auf das Jenseits zu warten.
Das Leben bei Gott in der Vollendung ist für Paulus das bessere, das Leben hier, das notwendigere.
Vieles in meinem Leben muss ich entscheiden, so manche Wahl steht an. Zwischen diesem Leben und der Fülle des Lebens im Reich Gottes zu wählen wollte ich nicht. Ich könnte es nicht. Und ich brauche es auch nicht.
Bei Paulus damals hatte Gott offenbar entschieden, dass er noch eine ganze Reihe von Jahren seinen Aufgaben nachkommen sollte. Welche Stunde für Paulus die richtige gewesen war, das zu entscheiden hatte sich Gott offenbar selbst vorbehalten. Und er tut es bei jedem und jeder von uns nicht minder.
Und das ist gut so! Gott sei Dank hat er es so eingerichtet! Gott sei Dank ist es so eingerichtet, dass niemand von uns hier wirklich zu wählen braucht.
Amen.
(gehalten am 17./18. September 2005 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)