Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
5. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr A (1 Petr 2,4-9)
Brüder! Kommt zum Herrn, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen. Denn es heißt in der Schrift: Seht her, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen Eckstein, den ich in Ehren halte; wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde. Euch, die ihr glaubt, gilt diese Ehre. Für jene aber, die nicht glauben, ist dieser Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden, zum Stein, an den man anstößt, und zum Felsen, an dem man zu Fall kommt. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen; doch dazu sind sie bestimmt. Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat. (1 Petr 2,4-9)
Ich gebe zu, ich bin schon etwas erschrocken, als ich vor etlichen Jahren das erste Mal so richtig durch den Kaiserstuhl gefahren bin. Ist jetzt auch schon wieder eine halbe Ewigkeit her. Damals war das alles noch ganz frisch. Die riesigen Rebgebiete waren gerade erst zurechtgeschoben worden. Tausende von Kubikmetern Erde hatte man bewegt, um gewaltige Terrassen zu erstellen.
Als ich das zum ersten Mal gesehen hatte, bin ich wirklich erschrocken. Diese riesigen Lößterrassen wirkten auf mich, als wäre ich auf dem Mond.
Liebe Schwestern und Brüder,
beim Anblick dieser "Mondlandschaft" damals dachte ich nur: Hier beginnt ein ganz neues Zeitalter. Jetzt sind wir soweit! Wir passen nicht mehr die Maschinen an die Landschaft an, wir passen unsere Landschaft den Maschinen an. Wir machen uns eine maschinengerechte Welt.
Dieser Gedanke durchschoss mich damals urplötzlich. Heute aber weiß ich, dass ich mich da ziemlich geirrt habe. Es stimmt nämlich nicht. Das was ich damals sah, war absolut nichts Neues.
Neu sind vielleicht die Möglichkeiten, die wir heute haben - die riesigen Maschinen, mit denen wir gewaltige Erdmassen verschieben können - das Phänomen aber, das Phänomen selbst ist so alt wie die ganze Menschheit.
Menschen haben schon immer versucht, sich die Welt so zu gestalten, wie sie sie gebraucht haben oder zu brauchen meinten. Schon immer haben wir Brücken gebaut, Kanäle gegraben, Flüsse gestaut - uns die Welt geschaffen nach unserem Bild.
Wir haben es getan, und wir werden es auch weiterhin tun, das gehört zum Menschen dazu. Der Mensch gestaltet sich - ja jetzt hätte ich fast gesagt - er gestaltet sich Gott und die Welt. Und dabei wäre ich vermutlich gar nicht einmal so falsch gelegen. Denn die Gefahr ist recht groß, die Gefahr, dass wir auch, was Gott angeht, genauso darangehen wie mit der Landschaft am Kaiserstuhl. Wir basteln uns Gott und den Glauben so zurecht, wie wir ihn halt einmal brauchen können und wie es uns gerade in den Kram passt.
Die Gefahr ist nicht klein, dass wir - auch was unseren Glauben angeht - ihn nach unserem eigenen Gutdünken gestalten wollen. Und immer wieder erliegen wir dieser Gefahr wohl auch.
Ich musste daran denken, als ich den heutigen Lesungstext genauer angeschaut habe. Beim Satz vom Eckstein bin ich hängen geblieben. Denn Eckstein ist er, Jesus Christus, so haben wir es eben gehört. Und an ihm muss sich das ganze Haus deshalb auch ausrichten. Er ist der Maßstab und von ihm her und an ihm muss sich deshalb auch alles messen lassen.
Aber ist das denn so? Ist er tatsächlich der Maßstab? Oder haben wir uns ihn und seine Botschaft nicht schon längst so zurechtgeschoben wie die Weinberge am Kaiserstuhl?
Wenn ich mir manche Texte der Evangelien anschaue, dann erweckt das nicht selten schon ganz schwer diesen Eindruck. Die Aussagen der Evangelien - wie oft erscheinen sie längst kirchenpolitisch geglättet von der Volksfrömmigkeit abgeschliffen und in ausgetretene Bahnen der Gewohnheit geleitet, die das Original nur noch sehr schwer erkennen lassen.
Hungernde zu speisen erklärt Jesus zum Gottesdienst. Und unsere christlich-abendländische Gesellschaft treibt durch das Verlangen nach Biosprit die Brotpreise weltweit in die Höhe.
Selig die Friedfertigen ist da zu lesen. Und in den theologischen Fakultäten wird über den gerechten Krieg diskutiert.
Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel, sagt dieser Jesus von Nazareth, während die Medien voll sind von der Berichterstattung über die jüngste Reise des "Heiligen Vaters".
Und obwohl Christus danach verlangt, dass wir alle eins sind, zerfällt die Christenheit in immer mehr Konfessionen und Splittergruppen.
Das Anstößige des Evangeliums, das, woran wir uns stoßen, wird schon längst von den Theologen schöngeredet, dogmengerecht eingepasst und kirchenpolitisch sauber verpackt. So, wie man den Kaiserstuhl damals schön maschinengerecht zusammengeschoben hat.
Der erste Petrusbrief spricht aber nicht davon, dass wir uns einen Bildhauer suchen sollen, um das Urgestein Christus zurechtzuhauen. Er spricht davon, dass dieser Felsen zum Eckstein geworden ist und dass sich das Gebäude an ihm auszurichten hat.
Das Gebäude der Kirche kann sich die Landschaft nicht gebäudegerecht gestalten lassen. Es hat sich an dieser Landschaft, an diesem Stein, den Christus selbst darstellt, auszurichten.
Lassen wir es aufs Neue zu. Auch dort, ja vor allem dort, wo es unbequem ist - für die Kirche als Institution genauso wie für jeden und jede einzelne von uns...
(gehalten am 19. April 2008 in der Pauluskirche, Bruchsal)