Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr A (Joh 14,15-21)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. (Joh 14,14-21)
Liebe Schwestern und Brüder,
jeder Politiker, der auch nur ein klein wenig Weitblick hat, baut rechtzeitig vor. Bevor er aus seinem Amt ausscheidet, gilt es schließlich, einen Nachfolger aufzubauen, seine rechte Hand gleichsam, einer, der ganz ähnlich denkt, und der dann die Dinge in die gleiche Richtung weiterzutreiben in der Lage ist, wenn die Zeit zum Abtreten für einen selber am Ende gekommen ist. Die Nachfolge rechtzeitig zu regeln, das ist eine Forderung der politischen Klugheit und ein Gebot der Vernunft, und das zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte. Natürlich geht solch eine Rechnung nicht immer auf, aber jeder der Großen dieser Welt hat zumindest alle Anstrengungen unternommen, um die Dinge für die Zeit nach ihm in seinem Sinne zu regeln.
Jesus hat es nicht einmal versucht!
Dabei ahnte er doch, dass er in Jerusalem sterben werde, und die Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums wollen uns deutlich machen, dass er sich völlig im Klaren darüber war, die längste Zeit auf dieser Welt gewesen zu sein. Er aber macht keinerlei Anstalten, seine Nachfolge auch nur in groben Zügen zu regeln.
Ich weiß, manche werden mir jetzt widersprechen wollen. Sie werden sagen: "Und was war mit dem Petrus? Dem hat er doch die Schlüssel und damit seine Kirche anvertraut!" Das stimmt, das können wir so nachlesen. Und der Titel, den sich die Päpste in der Folge zugelegt haben, der Titel "Stellvertreter Christi auf Erden" zu sein, der legt eigentlich nahe, dass der Papst nun an Christi statt die Leitung übernommen hat. Er wäre dann doch demnach so etwas wie der Nachfolger des Messias. Und Petrus, das wäre dann so etwas wie der Kronprinz Jesu gewesen, den er schon zu Lebzeiten dazu auserkoren hätte, sein Werk weiterzuführen.
Aber sie spüren schon selbst, dass dies mehr als komisch klingt, dass diese Kategorien haken und einfach nicht passen wollen. Auch wenn es manchmal so aussehen mag, und auch wenn sich manche Amtsträger im Verlauf der Kirchengeschichte den Anschein gegeben haben, als ob es so sei: Petrus ist einfach nicht Jesu Nachfolger.
Jesus hat schließlich keinen Verein gegründet, und er hatte alles andere im Sinn, als das in Gesetzesfrömmigkeit zu erstarren drohende Judentum in eine neue Verwaltungsstruktur zu kleiden oder die jüdischen Religionsführer einfach durch eine andere Art von Amtsträgern zu ersetzen.
Jesus ging es nicht um Strukturen und ihm ging es erst recht nicht um Ämter. Er wollte den Menschen seiner Zeit die Unmittelbarkeit der Liebe Gottes vor Augen führen. Gott liebt Dich, und er ist für Dich da, und Du kannst ihn in Deinem Leben spüren und das ganz unabhängig von irgendwelchen Institutionen, Opferleistungen oder Ämtern. Gott geht uns direkt an. Jeder ist Gottes Kind. Und jede kann deshalb ganz unmittelbar, ohne irgendeine Vermittlung zu benötigen, Vater zu ihm sagen. Das wollte Jesus den Menschen damals wieder ganz neu vor Augen führen.
Auf diesem Hintergrund brauchte er sich keine Gedanken über einen Nachfolger machen, und erst recht nicht darüber, in welchen Strukturen sein Werk weitergehen solle. Im heutigen Evangelium macht er uns ganz deutlich, wie überzeugt er davon war, dass Gott selbst dieses Werk weitertreiben werde, dass Gottes Beistand, sein Heiliger Geist, das Geschick derer, die zu ihm gehören wollen, selbst in die Hand nimmt. Allen, die an ihn glauben, soll nämlich dieser Beistand zuteilwerden, allen die zu ihm gehören, wird dieser Geist zugesagt, ein Geist, der alle zu Geistlichen macht und nicht nur ein paar auserwählte Führer, der alle befähigt, mit diesem Gott durch dieses Leben zu gehen und diese Welt im Sinne Gottes zu gestalten.
Den Menschen zu seiner Zeit hat Jesus genau dies verdeutlicht. Im Laufe der Jahrhunderte wurde es immer wieder ganz einfach vergessen. Sicher, es wurde stets davon gesprochen, dass alle aufgrund von Taufe und Firmung zum Dienst in der Kirche bestellt sind, und man hat nie aufgehört zu betonen, dass wir aufgrund dieses Geistes, den Gott uns in der Taufe schenkt, auch dazu befähigt sind, aber gelebt wurde alles andere! Mit fortschreitender Zeit wurde in wachsendem Maße immer mehr auf ein paar wenige beschränkt.
Geistliche, das waren plötzlich nicht mehr alle Getauften, die ja Gottes Geist empfangen haben, Geistliche, das waren plötzlich nur noch die Amtsträger. Und die direkte Beziehung zu Gott, die Jesus so wichtig war und die nach ihm alle haben, die Gott ihren Vater nennen dürfen, die meinte man plötzlich bei den Amtsträgern ganz besonders ausgeprägt zu sehen. Die Pfarrer und die Bischöfe, die müssten schließlich einen ganz besonderen Draht zu Gott haben, viel stärker als die gewöhnlichen Leute. Als ob Gott nicht allen seine Kindern in gleicher Weise begegnen würde, als ob er da Unterschiede machen würde.
Jedem, der an ihn glaubt, schenkt er den Beistand, seinen Geist, der ihn befähigt den Weg mit Gott durch dieses Leben zu gehen. Damals hat Jesus genau dies seinen Jüngern ganz ausdrücklich eingeschärft. Und vielleicht will er es uns ja heute wieder ganz neu deutlich machen. Vielleicht ist das ja genau der Sinn so mancher Wirren unserer Tage. Vielleicht steckt das ja genau dahinter, wenn es bei uns gegenwärtig so wenig Amtsträger, immer weniger Priester gibt. Vielleicht sorgt Gottes Geist gerade hier wieder selbst dafür, dass wir aufs Neue begreifen und wirklich einsehen, dass Gott sich nicht in Ämterstrukturen, Zuständigkeiten und noch so ausgeklügelte Regelwerke einsperren lässt. Vielleicht will er ja gerade, dass wir wieder aufs Neue begreifen, dass jeder von uns von ihm dazu befähigt ist, im direkten Hören auf Gott und die Stimme seines Gewissens seinen Weg zu gehen, im direkten Hören auf Gott Verantwortung für diese Welt und für Gottes Gemeinde zu übernehmen.
Auch wenn augenscheinlich immer weniger Priester in den Gemeinden bleiben, Gott lässt seine Gemeinden nicht als Waisen zurück, er selbst nimmt sich ihrer an, denn er hat jedem von uns schon lange seinen Geist als Beistand gesandt, den Geist, durch den er seine Kirche wirklich leiten möchte.
Amen.
(gehalten am 8./9. Mai 1999 in der Peterskirche, Bruchsal)