Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
15. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 13,1-9)
An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. Er sagte: Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre! (Mt 13,1-9)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich früher als Kind vor allem im Winter auf unserem Speicher gespielt habe, dann hat mich eines immer wieder fasziniert: An den Dachsparren hingen meist mehrere Nylonstrümpfe, und in diesen Strümpfen wurden gewöhnlich den ganzen Winter über Hunderte von Bohnen aufbewahrt, die Bohnen, die im nächsten Frühjahr wieder zur Aussaat kommen sollten.
Als Kind haben die mich fasziniert, diese kleinen, weißen, ganz hart gewordenen Bohnen, mit denen man doch ach so toll spielen konnte. Es gab zwar ganz regelmäßig ein gewaltiges Donnerwetter, wenn wieder einmal entdeckt wurde, dass ich mit den Fingern ein Loch in solch einen Strumpf gerissen und die Bohnen herausgepult hatte, aber man konnte halt so schön mit diesen kleinen, weißen Gebilden spielen. Und es war mir absolut nicht beizubringen, warum ich jetzt mit diesen Bohnen keine Bilder legen durfte, warum ich mit denen sorgfältig umgehen müsste, es war mir absolut nicht beizubringen, dass ich diese Bohnen anders als etwa die Kieselsteine im Garten behandeln sollte. dass das keine Steine waren, dass das trotz allem Samen war, dass diese ach so tot aussehenden harten Dinger trotz allem Leben in sich trugen, das war mir absolut nicht begreiflich zu machen.
Erst sehr viel später habe ich erkannt, dass in diesen Bohnen, in diesen Strümpfen auf unserem Speicher tatsächlich Leben war, dass das Leben in diesem Samen gleichsam wartete, darauf wartete, bis der Winter vorüber war und bis die rechte Zeit da war um aufzugehen, zu treiben, Blüten und Früchte zu tragen. Sehr viel später habe ich erst erkannt, dass das Leben in diesen Bohnen gleichsam wartete. Denn das musste ich erst lernen, das habe ich erst spät begriffen, dass das Leben, wenn es notwendig ist, wartet, auf den rechten Zeitpunkt warten muss.
Auf unserem Speicher hat der Samen einen ganzen Winter lang gewartet. Und mancher Same, der wartet vielleicht sogar noch viel länger. Vielleicht ist es so, dass mancher Same, selbst nach seiner Aussaat, ganz lange auf den rechten Zeitpunkt warten muss, bis er dann wirklich zu seiner Zeit aufgeht und Früchte trägt.
Daran musste ich denken, als ich das Gleichnis vom Sämann wieder in die Hand genommen habe. Als ich im heutigen Evangelium wieder einmal von Jesus gehört habe, dass Gottes Wort wie solch ein Samen eben unter den Menschen ausgestreut wird, musste ich daran denken. Denn früher hat mich dieses Evangelium immer sehr traurig gemacht. Wenn ich da gehört habe, wie viel Samen ganz einfach daneben fällt, nicht auf ordentlich bereiteten Boden fällt, wie viel Samen ganz offensichtlich nicht gleich aufgeht, geschweige denn sofort seine Früchte trägt, das hat mich immer ganz traurig gemacht.
Was passiert denn dann mit all den vielen Menschen, in denen der Boden für diesen Samen Gottes anscheinend noch nicht recht bereitet ist? Und wie müssen sich all diejenigen fühlen, die unserem Gott bei dieser Aussaat hilfreich zur Seite stehen, die Lehrer etwa in unseren Schulen, die Katecheten in unseren Gemeinden und ganz besonders viele Eltern, die sich jahrelang ungeheuer viel Mühe gegeben haben, die das, was ihnen wichtig geworden ist, ihren Glauben, wie solch einen Samen an andere Menschen, an ihre Kinder weitergegeben haben und die sich jetzt nach Jahren fragen, ob das Ganze denn wirklich vergebliche Liebesmüh gewesen ist. Die nur sehen, wie ihr Same offensichtlich auf steinigen Boden gefallen ist, wie da manches Mal fast gar nichts davon aufgegangen zu sein scheint.
Früher klang dieses Gleichnis vom Sämann, das Jesus im heutigen Evangelium erzählt, für mich immer ungeheuer hart. Denn was kann der Same denn dafür, wenn das Feld noch nicht recht bestellt ist. Und was kann der Acker dafür, wenn der Same schon darauf fällt, obwohl der Boden noch gar nicht zur Aussaat vorbereitet ist.
Heute erinnere ich mich an die Bohnen auf unserem Speicher. Heute erinnere ich mich daran, dass das Leben manchmal warten muss, dass das Leben manchmal auf den rechten Zeitpunkt wartet. Und jetzt vertraue ich darauf, dass selbst da, wo die Samenkörner auf ganz steinigen Boden oder sogar auf den Weg fallen, dass da unmöglich alle Körner von der Sonne verbrannt oder von den Vögeln aufgefressen werden. Ich vertraue darauf, dass vom Samen, der einmal ausgestreut worden ist, genügend Körner wie unsere Bohnen auf dem Speicher, ganz einfach warten, auf den rechten Zeitpunkt warten, um wirklich aufgehen und ihre Frucht bringen zu können.
Gott bei seiner Aussaat hilfreich zur Seite zu stehen, das ist keine vergebliche Liebesmüh, selbst dann nicht, wenn ich das Wachsen seiner Saat nirgendwo erkennen könnte, denn das Leben, das in diesem Samen verborgen ist, das wartet manchmal. Und manchmal wartet es recht lange auf seine Zeit, auf die rechte Zeit, um aufzugehen und seine Frucht zu bringen.
Amen.
(gehalten am 13./14. Juli 1996 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)