Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. November - Hochfest Allerheiligen (Mt 5,1-12a) und
4. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 5,1-12a)
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,1-12a)
Massive Kritik hat es gehagelt Anfang des Jahres. In zahlreichen Kommentaren konnte man lesen, dass unsere Bischöfe über Weihnachten und zum Neuen Jahr viel zu politisch gepredigt hätten. Kirche solle sich aus der Tagespolitik heraushalten. Kirche solle bei ihren eigenen Themen bleiben.
Was aber sind denn diese "eigenen Themen"?
Liebe Schwestern und Brüder,
klar, dazu gehört sicher Spiritualität. Darum soll sich Kirche kümmern. Und um Gottesdienste und Besinnung. Und natürlich ist Kirche auch wohlgelitten, wenn sie jugendpflegerische Maßnahmen und Seniorennachmittage durchführt, Kindergärten und Sozialstationen trägt. Sie soll sich ja durchaus karitativ engagieren, aber ansonsten habe sie sich herauszuhalten - vor allem aus der Politik, denn für all diese weltlichen Belange sei Kirche ganz einfach nicht zuständig.
Und das kritisieren ja nicht nur Menschen von außerhalb der kirchlichen Strukturen. Es ist schließlich noch gar nicht so lange her, da forderte auch ein Papst von dieser Kirche regelrecht eine "Entweltlichung". Und das verstanden einige schon als Aufruf zum Rückzug aus der Welt - Wasser auf die Mühlen all derer, die sich so gerne rein auf das Jenseits konzentrieren, weil diese Welt ja gar nicht wert sei, dass man sich zu sehr mit ihr beschäftige, weil es ja sowieso um eine ganz andere Wirklichkeit ginge und weil wir doch letztlich gar nichts anderes machen könnten als das Heil zu erwarten, das uns am Ende allein von Gott geschenkt wird.
So aber sind wir wieder ganz schnell bei einer Kirche, die allein auf das Jenseits schielt, und die alle, die im Hier und Jetzt unter den Verhältnissen leiden, auf dieses Jenseits vertröstet.
Aber das könnte denen so passen! Das hätten die gerne, alle, die verantwortlich sind - für Verhältnisse verantwortlich, unter denen Menschen hier zu leiden haben. Mir ist schon klar, dass die am liebsten hätten, dass sich Kirche hier raushält und ja nicht nachbohrt oder gar den Finger in die Wunden legt.
Aber wir können uns die Zuständigkeit für Themen doch nicht von anderen vorschreiben lassen - weder von weltfremder Religiosität noch von Journalisten oder Politikern. Den Themenkatalog, die Themen, die unsere "eigenen Themen" sind, die nämlich gibt uns Christus vor. Und heute tut er es im Evangelium wieder einmal in aller Deutlichkeit.
Von den Armen, denen das Himmelreich gehört, spricht dieser Jesus. Und er macht damit deutlich, dass Armut unser Thema ist, Armut, die nicht vom Himmel fällt und auch kein Schicksalsschlag ist. Armut hat ihre Ursachen - nicht zuletzt in einer Politik, die dafür sorgt, dass diejenigen, die haben, immer mehr haben und denjenigen, die kaum etwas haben, oft nicht das Nötigste zum Leben bleibt. Wenn weltweit die Reichen immer reicher und alle anderen immer ärmer werden, dann stimmt etwas nicht auf dieser Welt und dann muss dagegen auch vorgegangen werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden, sagt der Herr, und diesem Herrn zu folgen, heißt deshalb, auch hier nicht zu schweigen. Denn Gewalt kommt nicht von ungefähr. Sie hat ihre Ursachen, Ursachen in sogenannten "nationalen Interessen", Interessen, die Diktatoren ins Amt verhelfen, weil sie willfährig unseren Rohstoffhunger stillen, und Interessen, die Bürgerkriege am Köcheln halten, weil hier, stellvertretend für den eigenen Einfluss, andere den Kopf hinhalten müssen - vom Profit, der sich mit entsprechenden Waffenlieferungen machen lässt, ganz zu schweigen.
Und dann spricht der Herr von Gerechtigkeit, von Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Und er ruft uns damit auf, diesen Hunger und Durst zu stillen.
Und das ist unabdingbar notwendig, denn ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben. Ohne dass Menschen den Anteil am Leben, den Anteil am Wohlstand, den Anteil an Perspektive und Zukunft erhalten, der ihnen zusteht, ohne dass jedem Menschen, egal wo er geboren wird, egal wie seine Familie aussieht und egal, was seine Eltern an Besitz haben, die Chance zuteilwird, sein eigenes Leben so zu gestalten, dass er wirklich einen Fuß auf den Boden bekommt - ohne gerechte Verhältnisse werden wir kein gedeihliches Miteinander auf dieser Welt haben, werden wir weiter mitverantwortlich dafür sein, wenn sich auch zukünftig weltweit Millionen auf den Weg machen, weil sie darin die einzige Chance sehen -
nicht für sich - aber wenigstens für ihre Kinder eine Perspektive, eine Perspektive für dieses Leben zu eröffnen.
Und wenn Jesus die Barmherzigen seligpreist, dann preist er eine Haltung, jene Haltung, die einem Christen wohl allein angemessen ist. Und eine Gesellschaft, die stolz auf ihre christlichen Wurzeln und ebensolche Werte ist, kann deshalb auch nur eine Gesellschaft sein, die Barmherzigkeit übt, vor allem denen gegenüber, die ihre Unterstützung ganz dringend brauchen, weil sie aufgrund von Krieg, aufgrund von Verfolgung oder aufgrund von Naturkatastrophen alles verloren haben. Und wer christliche Politik machen möchte, kann deshalb auch kaum eine andere Haltung einnehmen, kann sich nicht damit brüsten, möglichst viele wieder weggeschickt oder durch möglichst hohe Grenzzäune erst gar nicht hereingelassen zu haben.
Unsere Bevölkerung hat dies offenbar begriffen. Zumindest machen jüngste Umfragen deutlich, dass die absolute Mehrheit der Menschen in diesem Land ungebrochen bereit ist, Menschen in Not nicht im Stich zu lassen, sondern ihnen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen - die überwältigende Mehrheit; auch wenn diejenigen, die in den letzten Monaten mit ihren Hetzparolen die Medien beherrschen, sich dermaßen mühen, einen anderen Eindruck zu erwecken.
Dagegen aufzustehen, sich dieser Themen anzunehmen, sich nicht wegzuducken, wenn manche um uns herum in die falsche Richtung weisen,
klare Kante zu zeigen und in der Nachfolge Christi fest zu bleiben, das ist keine Einmischung von Kirche in Dinge, die sie nichts angingen. Ganz im Gegenteil, es ist Aufgreifen der Themen, die Jesus selbst uns vorgegeben hat.
Ja, das gefällt manchen nicht. Und wenn man solche Dinge betont, dann wird man da und dort angefeindet und sogar beschimpft - von außerhalb, aber auch von innerhalb der Kirche.
Aber das spielt keine Rolle. Denn im heutigen Evangelium sagt Jesus auch: Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Und auch das ist keine Jenseitsvertröstung - ganz im Gegenteil: Das ist eine klare Ansage unseres Herrn Jesus Christus. Klar und unmissverständlich ruft er uns zu: Er selbst, er steht an unserer Seite.
Amen.
(gehalten am 1. November 2018 in der Kirche St. Martin, Karlsruhe)