Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


7. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 5,38-48)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab. Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. (Mt 5,38-48)

Da war ein junger Chinese, hochintelligent. Er vertrat eine Pfarrgemeinde bei einem kleinen Schachturnier. Zwei hochkarätige Gegner hatte er bereits ausgeschaltet. Jetzt spielte er gegen eine regelrechte Pflaume, die sich einen Fehler nach dem anderen erlaubte - und er verlor.

"Was war denn los?" wurde er gefragt, "Du hättest allein dreimal seine Dame schlagen können. Die war doch völlig ungedeckt!"

Ganz überrascht schaute der junge Chinese zurück und meinte nur: "Damen schlägt man nicht!"

Liebe Schwestern und Brüder,

er hatte diesen Satz beim Deutschkurs aufgeschnappt, aber er hatte nicht realisiert, dass es dabei um reale Frauen und nicht um die Dame im Schachspiel geht.

Manchmal reicht es eben nicht aus, einfach die Worte zu hören und zu verstehen, oftmals brauchen diese Worte einen entsprechenden Zusammenhang, um ihren Sinn zu verdeutlichen.

So ist es auch mit vielen Sätzen der Bibel, zum Beispiel mit diesem wohl am meisten falschverstandenen Satz der Bibel überhaupt, der uns als Zitat eben im Evangelium begegnete.

"Aug um Aug, Zahn um Zahn" liest man dort. Und alle Welt versteht das als eine Anordnung zu entsprechender Vergeltung. Wenn mir ein Auge ausgeschlagen wurde, dann muss dem Täter eben auch eines ausgeschlagen werden.

Wie oft muss dieser Satz noch heute dafür herhalten, persönliche Rachefeldzüge zu rechtfertigen. Und wie oft werden damit Wert und Bedeutung des ganzen Alten Testamentes in Frage gestellt oder der Gott der Bibel als grausamer Gott gebrandmarkt.

Dabei versteht derjenige, der den Satz auf diese Weise liest, gerade mal die Worte, aber keineswegs den Sinn. Diese Stelle klingt nämlich ganz anders, wenn man sie in die Zeit hineinversetzt, in der sie entstanden ist.

Damals galt nämlich ein ganz anderes Gesetz. Die damalige Zeit war geprägt von der Blutrache. Und wer einem Menschen etwa im Suff ein Auge ausgestochen hatte, der musste damit rechnen, von den Verwandten des Geschädigten im Sinne der Blutrache getötet zu werden.

Gegen dieses Rechtsempfinden wehrt sich das Buch Levitikus der Bibel und sagt ausdrücklich: Nicht Leben für Auge, nur derselbe Leibschaden, den jemand einem anderen zugefügt hat, darf einem entsprechenden Täter auch zugefügt werden. Es geht hier also nicht um die Anordnung einer grausamen Vergeltung. Wir haben es hier vielmehr mit einer sogenannte "Milderungsformel" zu tun. Es geht um die Eindämmung und Regelung einer ungeordneten und unkontrollierten Rachevorstellung.

Damit bekommt dann übrigens auch das, was Jesus sagt, ein ganz anderes Gesicht. Im Evangelium des vergangenen Sonntages war doch deutlich zu lesen, dass nichts vom Gesetz aufgehoben würde. Heute erweckt er ja selbst den Anschein, als würde er seine eigenen Worte Lügen strafen. Auf den ersten Blick liest es sich ja so, als würde er sagen: In der heiligen Schrift steht zwar drin, du sollst Vergeltung üben, ich aber sage euch, vergebt einander.

Das ist verkehrt. Dieser Eindruck trügt. Jesus sagt nicht das Gegenteil von dem, was in seiner Bibel steht. Er sagt vielmehr: Im Gesetz heißt es, Du sollst keine überzogene Vergeltung üben. Ich aber sage Dir, geh einfach noch einen Schritt weiter und übe gar keine Vergeltung.

Jesus hebt das, was Gott geboten hat nicht auf, er führt uns einfach den nächsten Schritt, er überführt das, was einst wichtig und richtig war, in die entsprechende Gegenwart.

Genau das müssen wir auch tun. Nachdem wir uns selbst in die Zeit und die Umstände, in denen die Bibel gesprochen hat, hineinversetzt haben, müssen wir das, was wir dort finden, in unsere Gegenwart, in unsere Situation und auf die Menschen hin übersetzen, mit denen wir es heute zu tun haben.

Das ist etwas ganz anderes als ein geistloses Wiederholen von Sätzen, die man in den Texten der Bibel vorfindet. Das ist ein Ringen um den Sinn, der letztlich dahintersteht.

Deswegen darf man auch mit den Sätzen Jesu nicht einfach den Fehler machen, sie aus ihrem Zusammenhang herauszureißen und sie genauso zu missdeuten, wie man es mit so vielen alttestamentlichen Stellen letztlich gemacht hat. Was er uns heute zum Beispiel mitgibt - dieser Satz von der Feindesliebe - das ist ein richtungsweisendes Wort, das dazu helfen will, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Und solche Worte helfen auch ungemein, um militärische Vergeltungsschläge, wie wir sie augenblicklich immer wieder erleben, mit den Augen Jesu deuten zu können.

Es muss aber auch klar sein, was man mit diesen Sätzen nicht machen darf. Wer mit dem Satz von der Feindesliebe etwa den Bewohnern der Anden verbieten möchte, sich gegen die Ausbeutung ihrer Bodenschätze und die Gefährdung ihrer Gesundheit durch die rücksichtslosen Praktiken amerikanischer Großkonzerne zur Wehr zu setzen, der deutet dieses Jesuswort falsch, der reißt es aus seinem Zusammenhang heraus oder benutzt es vielleicht sogar, um Menschen mit einem Gotteswort weiter in der Knechtschaft zu halten - und das wäre perfide. Ausgerechnet mit dem Wort eines Gottes, der sich den Menschen dadurch offenbarte, indem er sein Volk aus der Knechtschaft herausgeführt hat...

Es geht eben nicht nur darum, ein Wort zu hören oder einen Text einfach zu lesen. Es geht darum, seinen Sinn herauszuarbeiten. Wenn ich das nicht tue, wenn ich den Sinn nicht erfasse, dann wird solch ein Wort manchmal sogar unsinnig, falsch, völlig verkehrt. Und das Ergebnis davon ist oftmals verheerend. Da verliere ich dann möglicherweise nicht nur beim Schachspiel Dame und König, da verlieren Menschen dann möglicherweise sogar das Leben.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 19./20. Februar 2011 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)