Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
2. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr A (Gen 12,1-4a)
In jenen Tagen sprach der Herr zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte. (Gen 12,1-4a)
Sie hören die Nachrichten:
Jericho. Hunderte von Nomadenfamilien sind auf dem Weg nach Palästina. Infolge langanhaltender Dürreperioden drängen Scharen aramäischer Halbnomaden in die fruchtbaren Regionen am Mittelmeer. Mehrere tausend Flüchtlinge aus dem Raum der arabischen Wüste dürften in Kürze am Rande des Kulturlandes auftauchen. Aus einigen kanaanäischen Stadtstaaten ist zu vernehmen, dass man eine Mobilmachung der Streitkräfte für unabdingbar notwendig hält. Man befürchtet eine Überfremdung der kanaanäischen Kultur und große Einbußen bei der Nutzung des Weidelandes. Entsprechende Absprachen zwischen den einzelnen Stadtkönigtümern sind nach Auskunft wohl unterrichteter Kreise in vollem Gange.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn es vor knapp viertausend Jahren schon so etwas wie Nachrichten gegeben hätte, ich bin mir sicher, dass diese oder zumindest eine ähnliche Meldung dann rund um den Erdball gegangen wäre. Im 19. und 18. Jahrhundert vor Christus erschütterte nämlich eine ungeheure Bewegung den Nahen Osten und das ganze Zweistromland. Überall in der arabischen Wüste packten Nomadengruppen ihre Zelte und zogen dorthin wo das Leben noch lebenswert war. In einer gewaltigen Wanderwelle ergossen sich ganze Nomadenstämme in das Gebiet des Zweistromlandes und Palästinas.
Einer von ihnen war Abraham.
Das klingt ungewohnt, denn normalerweise denken wir kaum daran, dass da noch andere Sippen gewesen sind, dass da andere mit dem gleichen Ziel wie Abraham aufgebrochen sind. Wenn man allein den biblischen Bericht hört, diesen Abschnitt vom Aufbruch Abrahams, wie wir ihn eben in der Lesung gehört haben, dann klingt das immer so, als wäre einzig und allein Abraham mit seiner Familie aufgebrochen. Und es klingt auch so, als wäre er selbst gar nicht auf diesen Gedanken gekommen. Es hört sich dort so an, als ob Gott ganz urplötzlich in das Leben des Abraham einbricht und ihm aus heiterem Himmel gleichsam den Befehl gibt, seine Heimat zu verlassen und in ein fernes Land zu ziehen.
Das aber ist falsch! Abraham selbst spielte nämlich mit dem Gedanken aus seiner Heimat aufzubrechen, so wie Tausende andere auch. Die Weideplätze waren schlecht geworden, es gab kaum noch Nahrung für die Herden. Die arabische Wüste, die ursprünglich einmal die Heimat all dieser Menschen war, gab kaum noch etwas her; ganz anders, als die Ländereien Mesopotamiens und die milden Regionen Palästinas, die den Nomadengruppen ja geradezu wie ein Land, in dem Milch und Honig fließen, erscheinen mussten.
Dort wollte man hin, an den Annehmlichkeiten dieses Landes wollte man Anteil haben, deshalb gab man die angestammten Wandergebiete gerne auf. In Scharen drangen die Menschen deshalb damals in Mesopotamien und Palästina ein; Menschen, die sich aufmachten, um an den Annehmlichkeiten des Kulturlandes teilhaben zu können; Menschen, die wir heute ganz einfach "Wirtschaftsflüchtlinge" nennen würden. Und Abraham war einer von ihnen.
Abraham hatte nur ein Problem: Seine Frau war nämlich unfruchtbar. Und konnte er es wirklich wagen, mit einer Frau aufzubrechen, die unfruchtbar war; aufbrechen in eine ungewisse Zukunft hinein, nicht wissend, ob einmal genügend Nachkommen da sein werden, die einen im Alter versorgen; nicht wissend, ob er es tatsächlich schaffen werde, in diesem heißbegehrten neuen Lebensraum einen Flecken für seine Herden zu ergattern. Allein diese Sorgen hielten den Abraham noch zurück.
Gott musste ihm deshalb nicht erst befehlen, das Land, das schon lange nichts mehr her gab, hinter sich zu lassen. Was in der Bibel geschildert wird, ist nicht ein Befehl Gottes, dem der Abraham dann heldenhaft gehorcht. Gott befiehlt gar nichts. Gott macht etwas ganz anderes: Gott macht dem Abraham Mut.
"Wage es ruhig! Brich auf, es wird gut gehn! Du wirst Nachkommen haben, und du wirst in das Land kommen, das du dir ersehnst. Es wird geschehen, denn ich bin bei dir, um dich zu geleiten. Ich gehe mit dir, ich selbst begleite dich auf diesem Weg in dieses neue Land."
Gott fordert den Aufbruch des Abraham nicht, Gott ermutigt dazu. Gott macht dem Abraham Mut aufzubrechen, ruhig in das Land zu ziehen, von dem er sich erhofft, dass es ihm dort besser gehen wird. Gott ermutigt ihn dazu, indem er ihm versichert, dass er sich ganz auf seine Seite stellt, auf die Seite des Wirtschaftsflüchtlings Abraham. "Ich führe dich in das Land, in dem Milch und Honig fließen. Ich selbst führe dich in das Land, in dem es dir besser gehen wird."
Kein Wort von den Kanaanäern, kein Wort über die, die im damals Herren dieses Landes waren, kein Wort über die, die mittlerweile schon die Panik packte, angesichts der heranrückenden Scharen, die nun ein Stück vom Kuchen des Kulturlandes abkriegen wollen. Kein Wort über ihre Bestrebungen der Besitzstands-Sicherung und über ihre Ängste vor kultureller Überfremdung.
Es müsste uns eigentlich zu denken geben. Die biblische Geschichte von Abraham macht es eigentlich überdeutlich: Gott ist parteiisch. Gott steht auf der Seite des Abraham, auf der Seite des Wirtschaftsflüchtlings, auf der Seite des Ausländers, auf der Seite dessen, der aus Not in die Fremde zieht.
Auf welcher Seite stehe ich eigentlich?
(gehalten am 27./28. Februar 1999 in der Peterskirche, Bruchsal)