Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. November - Hochfest Allerheiligen
Einführung:
Vor einigen Tagen war ich in Rom. Und ich hatte gehofft, dort wird mir schon etwas einfallen für die Predigt an Allerheiligen.
Ist es dann auch. Allerdings nicht in einer der vielen Kirchen, auch nicht in den Katakomben, von denen immer noch viele erzählen, dass sich dort die ersten Christen zurückgezogen hätten. Und gar nichts fiel mir ein beim Rummel auf dem Petersplatz, wo ich doch wirklich gehofft hatte, bei den vielen Heiligenfiguren auf den Kolonnaden Berninis, eine entsprechende Idee zu bekommen.
Die bekam ich ganz anders.
Ich saß in einem Straßencafé, mitten auf der Via Nazionale in Rom. Immerhin galt es eine halbe Stunde zu überbrücken. Und das ging ganz gut mit einem Glas Rotwein.
Dabei begann ich dann, die vielen Menschen zu beobachten, die an mir vorbeiströmten: die farbige Frau mit dem Kind an der Hand, den Asiaten, völlig verliebt mit seiner Freundin, die deutsche Schulklasse auf Klassenfahrt, noch geschafft von der durchgemachten Nacht...
Und je länger ich zuschaute, desto mehr wurde mir klar, dass ich jetzt im Augenblick dabei war, Gottes Heilige zu studieren. Denn das waren sie ja: Gottes Geschöpfe, all die, die zu ihm, zum Heiligen, gehörten und von daher Heilige sind.
Liebe Schwestern und Brüder,
Heiligsprechungsprozesse sind schließlich eine Erfindung der Menschen. Die Vorstellung, dass Heiligkeit etwas sei, was mit irgendwelchen Leistungen zu tun habe, ist völlig daneben. Und die meisten Formen unserer Heiligenverehrung sind so geartet, dass sie nicht nur für die betroffenen Heiligen sondern vor allem für unseren Gott letztlich ein Graus sein müssen.
Nein, das sind sie, Gottes Heilige, all die, die gerade an mir vorbeihetzten, die, die auf der Suche waren, ganz angestrengt im Stadtplan nachschauten, diejenigen, die mit ihren Gedanken völlig woanders waren und ständig auf ihr Handy starrten, alle, die keine Zeit hatten und dabei die überwiegende Mehrheit darstellten. Und die, die sich für wichtig hielten und vermutlich doch zu denen gehörten, an die in 50 Jahren schon kaum jemand mehr denkt.
All sie und diejenigen, die bereits vor Jahren und Jahrzehnten, vor Jahrhunderten und Jahrtausenden als Gottes Geschöpfe durch Straßen und über Pfade hetzten, all sie sind Gottes Heilige. Denn sie gehören zu ihm, zu dem, der allein heilig ist. Denn nur dadurch, nur dadurch, dass man zu Gott, dass man zum Heiligen gehört, nur dadurch wird man selbst zum Heiligen.
Heiligkeit kann man sich nicht verdienen. Sie wird einem zuteil, genauso wie man es sich nicht verdienen kann, sondern einfach zu einer Familie gehört, ganz einfach, indem man hineingeboren wird. Genauso sind wir in Gottes Familie hineingeboren.
Wir alle, die wir seine Geschöpfe sind. Die Lebenden und die jetzt schon bei ihm Lebenden, die nur wir Menschen als Verstorbene bezeichnen. All sie sind Gottes Heilige.
Und sie feiern wir heute. Und ein bisschen feiern wir deswegen heute auch uns.
Amen.
(gehalten am 31. Oktober / 1. November 2013 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)