Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. November - Hochfest Allerheiligen
Hatten Sie gestern auch etwas gerichtet? Mittlerweile ziehen ja immer mehr Gruppen von Kindern am Abend des 31. Oktobers durch die Straßen
und fordern mit dem Ruf "Süßes oder Saures" dazu auf, ihnen etwas zu geben.
Manche von Ihnen werden sicher schon vorher eine Schale mit Süßigkeiten bereitstellen, damit sie auf die kleinen Geister und Gespenster vorbereitet sind.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich richte seit einigen Jahren auch etwas vor. Und alle, die am Abend klingeln bekommen es dann.
Dabei gibt es meist etwas erstaunte Blicke. Süßigkeiten gibt es bei mir nämlich keine. Ich weigere mich irgendwie, diesen aus Amerika importierten, letztlich inhaltsleeren Brauch mitzumachen oder auch noch zu fördern. Aber ich möchte die Tür auch nicht einfach geschlossen halten oder nur sagen, dass es nichts gibt.
Deshalb bekommt jeder und jede, die am Vorabend des Allerheiligentages bei mir klingeln - keine Süßigkeiten, sondern einen Gutschein. Und auf diesem Gutschein steht:
"VIP-Karte - berechtigt zur kostenlosen Teilnahme am Gottesdienst um 10 Uhr 15 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter."
Und darunter steht noch:
"Diese Karte ist übertragbar und wiederholt einsetzbar."
Ich gebe zu, die Begeisterung der Kinder ist nicht besonders groß. Und meist blicke ich sogar in recht verdutzte Gesichter. Häufig wissen die Kinder schon gar nichts mehr damit anzufangen.
Letzthin wusste noch einer zu erklären "Weisch, domit kannsch in'd Kirch gehen."
Einige Gutscheine kann ich natürlich am anderen Morgen im Vorgarten wieder einsammeln und gekommen ist auf diese Einladung am Ende - meines Wissens - auch noch niemand.
Ich hab das auch nicht erwartet - so blauäugig bin ich schließlich nicht. Aber ich frage mich schon: Warum das so ist? Warum empfindet kaum eines der Kinder eine Einladung zum Gottesdienst heute noch als Geschenk und als etwas "Süßes" schon gar nicht.
Die wenigsten der Kinder werden bisher überhaupt noch Erfahrungen mit Gottesdienst gemacht haben. Und wenn, dann bewegen die sich meist in den Kategorien von Pflicht, Zeit-Absitzen und Langeweile.
Und, Hand aufs Herz - wie viele von uns erleben das nicht anders. Wenn ich dann wieder einmal einen Gottesdienst einfach als Teilnehmer in der Bank mitfeiern kann, geht's mir dann etwa nicht ähnlich?
Unsere Gottesdienste verkommen häufig zum Abspulen blutleerer Riten, die dazu oft noch - was Sprache und Ausdruck angeht -, meilenweit von unserer Lebenswirklichkeit entfernt sind; meilenweit entfernt von der biblischen Vorstellung, dass Gottesdienst "Freude vor Jahwe" sei.
Gottesdienst aber ist Feier unseres Lebens im Lichte der Gegenwart Gottes. Wir bringen unser Leben und was uns bewegt in der Feier vor Gott. Dann aber müssen Gott und dieses Leben doch die bestimmenden Komponenten unseres Feierns sein.
Es geht nicht um Aufführungen, nie nur um Riten und erst recht um kein Ablesen aus noch so wertvollen Büchern. Unser Leben muss in diesem Feiern vorkommen und zwar so, wie es ist.
Deshalb muss die Art und Weise unseres Feierns auch immer wieder auf den Prüfstand, und nicht zuletzt geprüft werden, ob es sich an der Lebenswirklichkeit all derer orientiert, die Gott zu seinem Volk berufen hat.
Das ist ein Ansatz, der nicht allen gefällt - ich weiß. Manchen sind unsere Gottesdienste schon heute zu lebendig. Einige kommen damit gar nicht zurecht, dass Kinder etwa einen ganz eigenen Platz in der Liturgie haben sollen, außer dem in der Bank, in der sie gefälligst still zu sitzen haben.
Aber ich glaube nicht, dass dies die Vorstellung Jesu ist, ich glaube nicht, dass solch ein Feiern wirklich Gott wohlgefällig ist. Der biblischen Vorstellung von Gottesdienst entspricht es ganz sicher nicht.
Deshalb: bleiben wir dran. Ringen wir um eine neue Lebendigkeit unseres gottesdienstlichen Feierns. Und sagen wir all denen, die nur die Etiketten langweilig und weltfremd für unsere Gottesdienste übrig haben:
Mag ja manchmal sein - aber wir arbeiten dran!
Amen.
(gehalten am 1. November 2011 in der Pauluskirche, Bruchsal)