Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Predigt an Fronleichnam
"In der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot."
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist vielleicht eine der dümmsten Redensarten, die ich kenne. Und wahrscheinlich kennt man sie auch nur dort, wo von Not weit und breit keine Spur ist.
Wo man genauso gut von Süßigkeiten satt werden kann, braucht man sich natürlich über die Notwendigkeit von Brot keine großen Gedanken zu machen. Dass der Mensch eben nicht von der Wurst allein lebt und dass Süßigkeiten erst recht nicht ausreichen, das vergisst man halt so leicht.
Erklären Sie schließlich heutzutage mal einem Kind, dass das Gemüse auch wichtig ist und dass das Brot zum Frühstück aufgegessen werden muss und nicht durch Gummibärchen ersetzt werden kann. Sie ernten meist nur völliges Unverständnis und können diskutieren, bis Sie schwarz werden.
Und sagen wir nur nicht, dass wir Erwachsenen da vernünftiger wären. Wie war das mit der ausgewogenen Ernährung? Wie war das mit dem gesunden Lebenswandel?
Was wir wissen und was wir dann praktizieren, das ist eben nicht selten zweierlei. Und da macht es keinen Unterschied, ob es um unsere ganz konkrete Ernährung geht, um das ganz konkrete Brot, oder ob es sich um Brot im übertragenen Sinne handelt.
Auch beim Brot, das wir heute feiern, beim eucharistischen Brot, weiß eigentlich jeder von uns um seine Bedeutung und dass es ohne nicht geht. Oder könnten Sie sich vorstellen, heute das Brot wegzulassen? Nicht einmal zur Not. Was wäre dieser Festtag ohne das eucharistische Brot? Was wäre unsere Kirche ohne? Das wissen wir und so sagen wir das auch: Jesus Christus ist unsere Mitte und alles dreht sich um ihn. Und heute ist das vielleicht auch der Fall.
Das ändert aber nichts daran, dass es manchmal schon arg den Anschein hat, dass es auch hier zur Not ganz gut "ohne Brot" geht. Manchmal scheint Jesus Christus nämlich gar keine so große Rolle zu spielen.
Viele erleben Kirche als riesigen Apparat, als Institution, die wie jede Verwaltung arbeitet und funktioniert. Und wenn man dann selbst in den Bannkreis der Vorschriften und Verordnungen gerät, ist vom Geist Jesu meist nicht mehr viel zu spüren. Und manchmal hat es sogar den Anschein, dass es ihn auch gar nicht bräuchte. Unsere kirchliche Verwaltung würde ganz gut ohne ihn auskommen.
Und wie viele Einrichtungen von Kirche gibt es, die hervorragend funktionieren, mit sehr viel Geld unterhalten werden, für alle Lebenslagen, mit tollen Faltblätter und Prospekten - aus denen alles hervorgeht, nur nicht, dass sie etwas mit Jesus Christus zu tun haben.
Wie viele Kreise und Angebote in unseren Gemeinden bieten eine höchst sinnvolle Freizeitgestaltung. Und man kann mittun, ohne selbst nach einigen Monaten auch nur einmal bemerkt zu haben, dass es sich um Kreise und Veranstaltungen einer Pfarrgemeinde handelt, geschweige denn, dass man einen Bezug zu Jesus Christus bemerken würde.
Da kann schon der Eindruck entstehen, dass es zur Not auch ohne das Brot geht. Aber dieser Eindruck trügt. Was letztlich übrigbleibt, wenn das Brot - oder besser: der, den dieses Brot bezeichnet - herausgestrichen wird, wenn die Mitte verloren geht, das habe ich in der vergangenen Woche mit einem Teil unserer Firmanden erlebt.
Kirche, Pfarrgemeinde, und was die für eine Bedeutung für mich haben sollen, das ist für viele zu einem großen Fragezeichen geworden. Und es stellte sich nach wenig Überlegen heraus, dass dies deshalb der Fall war, weil Gott zur Frage geworden ist. Weshalb soll ich eine Kirche brauchen, wenn ich mir gar nicht im Klaren darüber bin, ob dieser Gott eine Bedeutung für mich hat.
Wenn Gott und Jesus Christus nicht mehr im Mittelpunkt stehen, dann schmeckt alles andere auf die Dauer auch nicht mehr.
Das Brot unseres Glaubens, das Grundnahrungsmittel Jesus Christus, ihn gilt es - ganz bewusst - in unserer Glaubenspraxis wieder in den Mittelpunkt zu stellen - und zwar in allen Bereichen.
Um seinetwillen, weil er uns wichtig ist, deshalb müssen wir uns treffen. Weil er uns versammelt, deshalb müssen wir zusammen kommen. Und weil er uns etwas bedeutet, deshalb lohnt es sich, sich in seiner Kirche zu engagieren. Wenn uns Jesus Christus im Alltag unserer Gemeinden abhandenkommt, wenn er und sein Vorbild in unseren Strukturen untergehen, und wenn von seinem Geist in unserer kirchlichen Praxis nicht viel zu spüren ist, dann haben wir am Ende nicht nur das Brot verloren und müssen jetzt halt die Wurst alleine essen. Wir haben am Ende alles verloren.
Denn "alle meine Quellen entspringen in dir, du bist das Wasser, das meine Sehnsucht stillt."
Amen.
(gehalten am 29./30. Juni 2002 in der Peterskirche und im Ehrenhof des Schlosses, Bruchsal)