Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


In der Heiligen Nacht (Lk 2,1-14)

In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zum erstenmal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollt sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sei war. In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Herr, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade. (Lk 2,1-14)

Weihnachten - das ist die Zeit anrührender Geschichten und noch rührseligerer Filme. Und ich gebe zu, ich schau sie mir auch immer wieder gerne an.

Und allen voran den vom "Kleinen Lord".

Ich denke Sie kennen ihn - vor allem jene Verfilmung mit Sir Alec Guinness aus dem Jahre 1980. Ein wunderschöner Film über einen bärbeißigen, unsympathischen und völlig egozentrischen alten Lord und seinen Enkel, den kleinen Cedric, der es fertig bringt, den alten Mann innerhalb von kürzester Zeit völlig zu verwandeln: vom unausstehlichen Knochen zum liebenswerten Opa.

Liebe Schwestern und Brüder,

so etwas schafft nur ein Kind. Menschen so zu verwandeln und ihre besten Seiten herauszukehren, dazu ist wohl wirklich nur ein Kind in der Lage.

Vielleicht ist das ja auch die Antwort darauf, warum Gott in Jesus von Nazareth nicht nur Mensch - warum er Kind geworden ist.

Dieses Kind hat in der Vergangenheit schon Verwandlungen vollbracht, zu denen ein Erwachsener kaum fähig wäre.

Ich war völlig sprachlos, als ich das erste Mal davon hörte, wie Soldaten im ersten Weltkrieg, auf beiden Seiten jener unseligen Front im Elsaß, am Weihnachtsabend gegen jede Order und über alle Befehle hinweg, die Waffen - zumindest für ein paar Stunden - auf die Seite legten und miteinander - Freund wie Feind - Weihnachten feierten.

So etwas schafft nur ein Kind - jenes Kind, das Jahr für Jahr überall auf der Welt Menschen zusammenführt, um wenigstens für ein paar Augenblicke innezuhalten und seiner Botschaft zu lauschen.

Und dabei besteht diese Botschaft nicht aus ausgefeilten oder klugen Worten. Es ist eine ganz einfache Botschaft, die wahrscheinlich genau deswegen so zu Herzen geht und Dinge eben zu verwandeln vermag.

Was sonst so übermächtig erscheint, sieht angesichts dieses Kindes plötzlich ganz anders aus.

Heute Nacht hat es keine Chance, jenes Schreckgespenst der Globalisierung, das durch Kälte, Gefühllosigkeit und technisierte Menschenverachtung gekennzeichnet ist. Im Licht dieses Kindes wird es - zumindest für einen kurzen Moment - verwandelt. Und es wird das Bild einer globalisierten Welt deutlich, die sogar noch viel enger zusammengerückt ist, als uns das in Wirtschaft und Politik alltäglich begegnet.

Es ist eine Welt, in der alle Menschen miteinander verbunden sind, verbunden als Brüder und Schwestern über alle Konfessionen und Religionen, alle Rassen und Schichten und alle Geschlechtergrenzen hinweg, weil uns die Botschaft dieses Kindes deutlich macht, dass wir alle - ausnahmslos alle - Kinder eines Vaters sind.

Und heute Nacht finden die Nachrichten aus der Wirtschaft, die Prognosen von Rezession und Abschwung, von erneut steigender Arbeitslosigkeit und finanziellem Desaster für ein paar Stunden kein Gehör; weil unser Wirtschaften, wenn wir vor diesem Kind stehen, in einem anderen Licht erscheint.

Die Hilflosigkeit eines Kindes verweist uns alle darauf, dass wir, als Mitglieder der einen großen Menschheitsfamilie, aufeinander verwiesen sind, der anderen bedürfen, wie in einer Familie eben. Und in einer Familie kann es nie darum gehen, wer jetzt am meisten ergattert, den größten Profit erheischt oder den meisten Gewinn erzielt. Das Wirtschaftssystem einer Familie zielt darauf ab, dass alle versorgt sind. Nur wenn alle in der Familie, wenn alle wirklich versorgt sind, nur dann hat eine Familie wirklich erfolgreich gewirtschaftet. Und dies gilt - wie für alle Familien auf dieser Erde - natürlich auch für die eine große Menschheitsfamilie. In dieser Nacht wird es uns wieder einmal aufs Neue bewusst.

Was für eine Nacht!

Was für eine Nacht in der dann zu guter Letzt auch noch die Schreckensmeldungen von Gewalt, Hass und Terror verstummen - zumindest für einen ganz kurzen Augenblick, für den Moment nämlich, in dem wir uns hier und überall auf der Welt die Hände reichen, uns als Bruder und Schwester verstehen und der Friede der Heiligen Nacht unseren Egoismus, unsere Vorurteile und unsere Feindseligkeiten für einen Augenblick ganz weit vertreibt.

Es ist das Licht dieser Nacht, das die Welt zu verwandeln vermag.

Der Erwachsene Jesus von Nazareth hat es später einmal so zum Ausdruck gebracht: Er sei gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, und wie froh wäre er, wenn es schon brenne.

Es ist das Feuer in unseren Herzen, nach dem dieser Jesus von Nazareth sich sehnt, ein Feuer, das diese Herzen brennen macht, so wie die Herzen der Jünger von Emmaus brannten, als sie die Gegenwart des Herrn verspürten.

Das Kind auf Heu und auf Stroh vermag es in jedem Jahr aufs Neue: Es entfacht dieses Feuer. Es liegt auf Heu und auf Stroh. Und mit beidem lässt sich ganz schnell ein solches Feuer entzünden. Dass dieses Feuer wirkliche Nahrung bekäme, Nahrung in unseren Herzen, dass dieses kleine Licht zu einer großen Flamme wird, die uns wirklich erfüllt, und zwar dauerhaft, unsere Welt verändert, und zwar nachhaltig, das wäre ein neues Wunder dieser Heiligen Nacht - ein Wunder, das dieses Kind allein allerdings nicht zu vollbringen vermag.

Denn dass dieses Feuer der Heiligen Nacht nicht wieder ganz schnell erlischt, dass es kein reines Strohfeuer bleibt, das nämlich liegt ein ganz großes Stück weit auch an uns...

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 24. Dezember 2008 in der Peterskirche, Bruchsal)