Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Weihnachten - Am Tag

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ich hoffe, Sie werden mir verzeihen, wenn ich heute Abend nicht über die Krippe sprechen möchte, ja nicht einmal über Maria und Josef oder die Hirten. Darüber wurde schließlich schon so viel gesagt. Ich denke heute Abend vielmehr an etwas, das sich zwar auch im Stall findet, das aber normalerweise kaum einmal beachtet wird. Ich denke jetzt an dieses nicht ganz unbedeutende 'etwas' auf dem das Christkind draufgelegen hat, an das Stroh nämlich! Lassen Sie mich heute Abend einmal an das Stroh in der Krippe oder besser gesagt: an einen einzigen Strohhalm aus unserer Krippe erinnern.

Und ich möchte das deswegen tun, weil mich dieser Halm hier ganz stark an einen ganz bestimmten Strohhalm erinnert! Dieses Stück Stroh aus unserer Krippe, das erinnert mich nämlich an diesen ganz berühmten Strohhalm aus dem Sprichwort. Jenen Strohhalm, der an einem Ast hängt, oberhalb eines Gewässers, und den kein Mensch bemerkt und niemand beachtet, diesen Strohhalm, an den man sich erst dann wieder erinnert, wenn das Wasser dann langsam zu steigen beginnt, und an den man sich dann klammert, wenn einem das Wasser schon bis zum Hals steht, den Strohhalm, an den man sich klammert, wenn man zu ertrinken droht!

Ich kann mir jetzt gut vorstellen, dass Sie sich fragen, was das denn jetzt mit Weihnachten zu tun haben soll; warum ich ausgerechnet heute von diesem Strohhalm erzähle! Nun ich tue das, weil ich einfach das Gefühl nicht loswerde, dass immer mehr Menschen heutzutage dieses Kind dort drüben in der Krippe mit so einem Strohhalm verwechseln, mit dem Strohhalm, der über dem Wasser hängt und an den man sich erst dann wieder erinnert, wenn einem das Wasser längst schon bis zum Hals steht, an den man sich dann klammert, wenn man zu ertrinken droht! Das Kind in der Krippe, dieser Jesus Christus, ich fürchte, für viele ist er zu solch einem Strohhalm geworden.

Sie können ja die Probe aufs Exempel machen. Sicher, heute und morgen ist die Krippe und das Christkind in aller Mund und alle Welt singt die Lieder vom Kind auf Heu und auf Stroh; aber fragen Sie die Menschen einmal etwa in zwei Wochen, fragen Sie dann einmal: "Entschuldigung, denken Sie eigentlich noch an dieses Kind in Bethlehem? Denken Sie eigentlich noch an diesen Jesus Christus?"

Ich lasse mich ja gerne eines Besseren belehren, aber ich bin mir ziemlich sicher, schon wenige Tage nach Weihnachten da wird das Kind aus der Krippe schon wieder in der Versenkung verschwinden, da wird Jesus Christus schon wieder beinahe in Vergessenheit geraten!

Und wissen Sie, was ich befürchte? Solange alles gut läuft und glatt geht, solange wird er für die meisten Menschen auch in der Vergessenheit bleiben. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man das Kind in der Krippe nur allzu oft für so einen Strohhalm hält, einen Halm, den man tage- und wochenlang eben vergisst, und an den man sich erst dann wieder erinnert, wenn einem das Wasser schon bis zum Hals steht.

Und das mag denn ja auch eine ganze Zeitlang gut gehen, damit kann man anscheinend eine ganze Zeitlang ganz gut leben. Nur: Strohhalme pflegen zu reißen, wenn man sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht daran klammert!

Wer sich nur dann an Gott erinnert, wenn er ihn plötzlich ganz dringend braucht, wer wochen- und monatelang gar nicht mehr bemerkt, dass Gott in seinem Leben am Werk war und ist, der muss damit rechnen, dass er dann, wenn er ihn doch so dringend benötigt, dass er dann schon gar nichts mehr spürt, der muss damit rechnen, dass er dann schon ganz kräftig verlernt hat, das Wirken dieses Gottes überhaupt noch zu bemerken. Strohhalme pflegen zu reißen, wenn man sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht daran klammert. Als tragfähiger Grund für ein ganzes Leben hat sich so ein Strohhalm nämlich noch nie erwiesen. Strohhalme taugen nicht als Fundament für ein Leben!

Damit mir Gott, damit mir dieses Kind in der Krippe wirklich Halt geben kann, dazu darf ich es nicht erst dann wieder hervorkramen, wenn mir das Wasser schon bis zum Hals steht. Da ist es mit diesem Gott gar nicht so viel anders wie mit all den anderen Dingen in meinem Leben auch. Damit ich sein Wirken, seine verborgene Gegenwart in unserer Welt tatsächlich erfahren kann, dazu muss ich mich aufmachen und diese Gegenwart suchen, dazu muss ich lernen, diese Gegenwart Gottes in meinem Leben auch wirklich zu sehen. Und am besten lernt man das wohl dort, wo Gott noch am ehesten zu entdecken ist, wo er sich noch am deutlichsten zeigt: in den Zeiten nämlich, in denen alles glatt geht und wie geschmiert läuft.

Machen Sie sich ruhig selbst wieder einmal die Mühe; lassen Sie die vergangenen Monate dieses Jahres in Gedanken noch einmal an sich vorüberziehen. Gehen Sie diese Monate einfach noch einmal durch und ganz besonders die Stunden, in denen alles gut gegangen ist, in denen wirklich alles glatt ging. Ich bin mir ganz sicher, Sie werden mehr als einmal auf Situationen stoßen, von denen Sie sich sagen müssen: "Also, wenn ich mir das richtig überlege, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, wie ich das oder jenes damals eigentlich hingekriegt habe! Das kann ich doch unmöglich allein geschafft haben, da muss ein anderer mit am Werk gewesen sein. Ja, da muss mich jemand schon beinahe getragen haben, wie ein Fundament, wie ein Boden unter den Füßen!"

Gehen Sie Ihr Leben ruhig wieder einmal auf diese Situationen hin durch, und ich bin mir ganz sicher, dass Sie dort den Boden unter Ihren Füßen ganz deutlich spüren können, dass Sie spüren können, wie der menschgewordene Gott in Ihrem Leben am Werk gewesen ist.

In den Zeiten, in denen nach außen hin alles glatt geht und wie geschmiert läuft, dort können wir es am ehesten entdecken. Und dort können wir demnach auch am ehesten ein Gespür dafür entwickeln, ein waches Gespür für dieses Wirken Gottes in unserem Leben. Ein Gespür, das uns vielleicht auch dann, wenn dann wieder einmal alles danebenzugehen scheint und nichts mehr so läuft, wie wir uns das vorstellen, das uns auch dann darauf vertrauen lässt, dass dieser Gott trotzdem bei uns ist.

Wer nämlich gelernt hat, das Kind von Bethlehem mit den rechten Augen zu sehen, der wird sich leichter damit tun, darauf zu vertrauen, dass Gott eben kein wackliger Strohhalm ist, sondern wie ein fester Boden unter meinen Füßen, ein Fundament, auf dem wir sicher stehen können.

Strohhalme pflegen zu reißen, wenn man sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht daran klammert, ein Fundament aber, ein fester Boden unter den Füßen, der trägt - und das ein Leben lang,

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 24. Dezember 1997 in der Peterskirche, Bruchsal)