Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Zum Abschluss der Innenrennovation

 

Da gab es einmal eine Figur, eine große Figur. Sie war sogar größer als Menschen normalerweise sind. Sie stand auf einem rötlich-braunen Sockel und blickte hinaus in die Welt. Sie sah die Menschen, die zum Kaffeetrinken kamen oder zu Vorträgen, sah die Kinder und Jugendlichen, die spielten, lärmten und sich manchmal auch in den Haaren lagen. Und sie sah die Schüler, die zum Gymnasium hasteten, oder Menschen, die vom Einkaufen kamen; die, die mit viel Zeit durch die Grünanlage schlenderten, und die, die wieder einmal keine Zeit hatten.

Sie kannte sie alle, denn immer wieder begegneten die Menschen dieser Figur. Sie kamen an ihr vorbei, weil sie im Freien stand, unter der Sonne und unter dem weiten Himmel. Und manchmal stand sie auch im Regen. Wind und Wetter nagten an ihr und ab und an auch Vandalismus und Zerstörungswut. Sie litt darunter, unsere Figur. Und die Menschen machten sich Sorgen um sie. Und so beschloss man, ihr einen neuen Platz zu geben, einen Platz im Trockenen, einen Platz, an dem ihr nichts mehr geschehen konnte.

Liebe Schwestern und Brüder,

vor wenigen Wochen war es soweit. Wir hatten einen Platz für sie gefunden, für die Figur des Heiligen Paulus, die bisher vor der Pauluskirche stand. Sie steht jetzt im Vorraum der Werktagskirche. Aber bis sie dort stand!

Ein halbes Dutzend Handwerker kämpften darum, den steinernen Koloss durch die Türe zu zwängen und unbeschadet nach innen zu bringen. Zwischendurch sah es schon beinahe so aus, als würde sich die Figur des Paulus mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Transport nach innen stemmen, sich richtiggehend dagegen wehren. "Der Paulus will nicht in die Kirche!" meinte damals unser Pfarrgemeinderatsvorsitzender von St. Paul.

Es ist eine Figur, eine Figur aus Sandstein, und Steinfiguren wollen nichts. Sie haben keinen Willen, sie schauen nicht, und sie wehren sich auch nicht. Und für eine Steinfigur ist der Platz im Trockenen ohne Frage das beste. Und trotzdem hat diese Szene von damals für mich so etwas wie einen Symbolcharakter, als wenn diese Begebenheit uns etwas zu sagen hätte: Der Paulus wollte nicht in die Kirche! Und vielleicht wollte er es ja nicht, weil St. Paul eben nicht in die Kirche gehört!

Und hören Sie das jetzt bitte mit allen Schattierungen, die dieser Satz beinhaltet: St. Paul gehört nicht in die Kirche! Genauso wenig, wie St. Peter oder St. Anton in die Kirche gehören. Sie gehören nach draußen. Die Menschen, für die diese Namen stehen, unsere Gemeinden, die gehören nach draußen. Sie dürfen sich nicht auf irgendwelche Kirchenräume zurückziehen, sie dürfen sich nicht im Kirchenraum verstecken. Wenn Gemeinden nur noch im Kirchenraum leben, dann leben sie in einem Museum, dann sind sie eigentlich schon gestorben.

Wir aber gehören nach draußen, dorthin, wo das Leben pulsiert. Wir sind ein Teil dieses Lebens und wir müssen dieses Leben und unsere Gesellschaft deshalb auch aktiv mitgestalten, in all ihren Bereichen. Und das heißt für mich: ganz selbstverständlich natürlich auch in der Schwangerenkonfliktberatung - und traurig genug, dass dies an entscheidender Stelle so wenig gesehen wird.

Wir dürfen nicht anfangen im eigenen Saft zu schmoren. Wir gehören dorthin, wo wir den Menschen begegnen, auch denen, die eben nicht so denken wie wir. Dort ist unser Platz, wo wir diese Menschen kennenlernen können, und verstehen lernen, wie sie denken. Wo andere aber auch uns entdecken können, und dabei vielleicht zu spüren vermögen, dass wir weit weniger komisch und verschroben sind, als man uns heute ja gemeinhin andichten möchte. Gemeinden, die sich nicht aufs Altenteil zurückziehen wollen, die gehören mitten hinein in die Welt.

Warum aber sind wir dann heute hier? Warum sitzen wir dann in der Kirche? Und vor allem, warum haben wir dann die Pauluskirche überhaupt renoviert? Wenn wir doch gar nicht in die Kirche gehören, warum dann so viel Aufwand, um ein Gebäude wieder herzurichten?

Nun, ich denke, das ist gar nicht so schwer zu beantworten. Denn wer draußen, wer im Freien ist, der ist eben auch - wie bislang unsere Paulusfigur dem Wind und dem Wetter ausgesetzt. Und der bekommt dort ganz natürlich Blessuren, dem pinkeln ab und an gar irgendwelche Hunde ans Bein, und dem wird so mancher Zacken aus der Krone gebrochen. Nicht selten bekommt man da das Gefühl, als stünde man allein auf weiter Flur. Und das hält man auf Dauer selbst dann nicht aus, wenn man eine Steinfigur wäre.

Wer aus Fleisch und Blut ist, und wer Gefühle hat, der braucht ab und zu, in schöner Regelmäßigkeit den Ort zum Ausruhen, zum Rasten, das schützende Dach über dem Kopf. Die Erfahrung, dass auch andere am gleichen Strang ziehen und dass man nicht alleine steht. Solche Orte braucht es - Orte, die einem gut tun, an denen man auch wieder neu Kraft schöpfen kann, die Kraft eben, um im Alltag seinen Mann und seine Frau zu stehen. Das kann man nicht überall. Dazu braucht es Räume, in denen man sich wohl fühlt, und in denen man sich mit all den anderen zusammen auch zuhause weiß.

In einer dreckigen Bahnhofshalle wird man solch ein Gefühl nur schwerlich finden, aber ich denke in unserer neu renovierten Pauluskirche kann man das sehr wohl.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 19./20. Juni 1999 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)