Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Gottesdienst anlässlich des "Eseltreffens" der Interessengemeinschaft für Esel- und Mulifreunde in Deutschland e. V. in Forst (Sach 9,9-10 mit Mk 11,1-10)

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde. (Sach 9, 9-10)

Es war einige Tage vor dem Osterfest Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage und Betanien am Ölberg, schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus. Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor uns liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn; er lässt ihn bald wieder zurückbringen. Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße einen jungen Esel angebunden, und sie banden ihn los. Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, den Esel loszubinden? Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren. Sie brachten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf der Straße aus; andere rissen auf den Feldern Zweigen von den Büschen ab und streuten sie auf den Weg. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe! (Mk 11,1-10)

Liebe Schwestern und Brüder,

heute darf ich an dieser Stelle ganz besonders alle Esel begrüßen: die Vierbeinigen vor der Kirche, und die Zweibeinigen hier im Kirchenraum. Und ich bin mir ganz sicher, dass ich das darf, ohne dass sich gleich alle über diese Bezeichnung aufregen. Die meisten hier wissen nämlich darum, dass ein Esel kein dummes Tier ist und dass Esel absolut nicht dazu taugen, als Schimpfwort missbraucht zu werden - ganz im Gegenteil. Sie wissen um die Bedeutung und den Wert eines Esels.

So, wie offenbar auch Jesus Christus dieses Tier zu schätzen wusste. Er hat es bewusst ausgewählt, um auf ihm, wie es der Prophet vorhergesagt hat, als Friedensfürst in seine Stadt Jerusalem einziehen zu können.

Der Herr hat ihn gebraucht, diesen Esel, und der Esel hat sich gebrauchen lassen. Er hat den Herrn getragen, seiner Aufgabe als Lasttier alle Ehre gemacht und ist zum Christusträger geworden.

Deshalb möchte ich heute alle Esel auch ganz besonders begrüßen - und eben nicht nur die Vierbeinigen, sondern alle, die sich vom Herrn gebrauchen lassen, die sich von ihm in den Dienst nehmen lassen, um ihn zu tragen und Christusträger zu werden. Denn der Esel aus dem heutigen Evangelium sollte uns allen ein Vorbild sein. Christus lässt nämlich auch uns ausrichten, dass er uns braucht, dass wir benötigt werden, um ihn zu tragen.

Jetzt wissen Sie natürlich alle, dass wir nicht Jesus Christus in Person auf unseren Schultern durch irgendwelche Stadttore tragen sollen; das ist klar, darum geht es natürlich nicht. Aber ich denke Sie wissen auch, dass er gesagt hat: "Alles, was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan." Und das genau ist der Punkt: Überall nämlich, wo wir tragen helfen, was andere Menschen nicht mehr zu tragen in der Lage sind, überall dort, tragen wir nicht nur die Last anderer Menschen; in ihnen tragen wir Christus selbst, werden wir selbst zu Christusträgern, folgen wir dem Beispiel des Esels aus dem heutigen Evangelium.

Und im Augenblick werden viele solcher Esel gebraucht, denn immer mehr Menschen sind nicht mehr in der Lage, alleine zu tragen. Sei es aufgrund von Krieg, Verfolgung oder Armut und absoluter Perspektivelosigkeit.

Sie stehen mittlerweile in Scharen vor unseren Türen. Und sie erwarten, sie erbitten, sie hoffen, dass ihnen geholfen wird. Sie brauchen uns und das heißt - nicht zuletzt für den gläubigen Menschen -, dass wieder einmal Christus jemanden braucht, der ihn trägt und tragen hilft.

Es ist begeisternd und faszinierend, erleben zu dürfen, wie viele Menschen, diesem Ruf heute folgen, wie groß die Zahl derer ist, die sich für Hilfsbedürftige engagieren, die willkommen heißen und sich auf großartige Weise einsetzen. Das sind Menschen, die das Beispiel des Esels aus dem heutigen Evangelium verstanden haben.

Immer größer aber wird auch die Zahl derer, die sich Sorgen machen, die sich fragen, wohin das noch führen wird, wie all die Scharen untergebracht, geschweige denn integriert werden sollen. Und sie haben recht: Wir können nicht die ganze Welt bei uns unterbringen.

Eines aber dürfen wir nie vergessen: Menschen fliehen heute, aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder politischer Verfolgung. Das ist das eine. Menschen fliehen aber auch, weil wir, weil unsere Gesellschaft, weil unsere Art zu leben, ihnen das Leben schwer macht, und vielerorts sogar jegliche Perspektive raubt.

Ich war in den letzten Wochen in Staaten des ehemaligen Ostblocks unterwegs. Und ich war erschüttert, was ich in den Straßen gesehen habe. Spar, Aldi, dm, C&A und wie sie alle heißen. Ich habe die ganze Zeit über nur die gleichen Produkte gesehen und kaufen können, die auch bei uns in den Schaufenstern stehen - mit der Ausnahme vielleicht, dass die deutsche Gebrauchsanweisung überklebt war mit einem ungarischen Aufkleber.

Welche Perspektive lassen wir Menschen in diesen Gesellschaften, wenn ihnen nur die Möglichkeit bleibt, Verkäufer zu werden, für Produkte, die von uns vertrieben werden und deren Erlös in die Bilanzen unserer Konzerne und sogenannten "Global Player" fließt? Und wie muss das erst in Gesellschaften aussehen, die ganz abgehängt sind und für die sich Europa auch wirtschaftlich nicht mehr interessiert?

Es ist ein gut Teil unseres Geschäftsgebarens, es ist unser Wirtschaften, es sind unsere Konzerne und es ist letztlich unser Wohlstand, der den Menschen dort den Blick auf die Zukunft raubt und sie in all den Staaten, die dann darüber kollabieren, am Ende zu dem macht, was man hier beinahe schon menschenverachtend als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet.

Wenn wir daran nichts ändern, wenn wir es nicht fertig bringen, wenn unsere Politik nicht endlich ernst damit macht, den Menschen dort wo sie leben, eine Perspektive zu ermöglichen, Firmen und Konzerne so in die Pflicht zu nehmen, dass es nicht nur um Erfolg und Wachstum geht, sondern sich nachhaltig Strukturen aufbauen lassen, die auch vor Ort Zukunft und Hoffnung vermitteln, dann werden die Folgen dieser unbändigen Gier am Ende um so drängender auf uns selbst zurückschlagen. Hier sind unsere Politiker mehr als gefordert!

Nur darf solch eine Politik nicht so aussehen, wie das momentan am Beispiel Griechenlands vorexerziert wird. Wir geben zwar vor, den Griechen zu helfen, und wir tun das dann, indem wir sie beispielsweise dazu drängen, lukrative Flughäfen, mit denen man noch Gewinn machen kann, endlich zu verkaufen und zwar an uns, an unsere eigenen Konzerne. Das hat für mich nichts mit Hilfe zu tun, mit Hilfe für eine in Not geratene Nation. Mich erinnert das viel eher an Ausweiden und Filetieren.

Das Beispiel eines Esels ist für mich auch hier ein wirkliches Vorbild. Denn im Zweifelsfalls - dann wenn es nötig ist -, kann ein Esel auch schon einmal ganz kräftig zutreten.

Einen solchen Tritt hat unsere Politik schon lange verdient: Einen Tritt, der sie endlich in Gang kommen lässt - und nicht nur in Richtung der Interessen all der Lobbyisten, die augenscheinlich ganze Ministerien am Nasenring durch die Manege ziehen.

Wenn ich all das sehe, dann weiß ich, wie notwendig das Vorbild unserer Esel heute ist. Und dann lasse ich mich selbst ganz gerne zum Esel machen. Ich möchte einerseits sehr gerne einer sein, der Tragen hilft, der dort mit anpackt, wo andere es alleine nicht mehr können - aber ich will auch einer sein, der schon mal austritt, dort, wo es von Nöten ist, um endlich wirklich etwas zu bewirken.

Lassen wir uns durch unsere vierbeinigen Freunde anspornen, wohl wissend, dass es nur in den Ohren der Menschen mitleidig und herablassend klingt, wenn wieder einmal solche Sätze fallen, dass es in Gottes Ohren aber eine Auszeichnung ist, wenn andere über uns sagen: "Was ist der doch für ein Esel!"

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 23. August 2015 in der Barbarakirche, Forst)