Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


13. Juni - Gedenktag des Heiligen Antonius von Padua (Gen 12,1-6)

Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte, und mit ihm ging auch Lot. Abram war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran fortzog. Abram nahm seine Frau Sarai mit, seinen Neffen Lot und alle ihre Habe, die sie erworben hatten, und die Knechte und Mägde, die sie in Haran gewonnen hatten. Sie wanderten nach Kanaan aus und kamen dort an. Abram zog durch das Land bis zur Stätte von Sichem, bis zur Orakeleiche. Die Kanaaniter waren damals im Land. (Gen 12,1-6)

Sie hören die Nachrichten:

Jericho. Hunderte von Nomadenfamilien sind auf dem Weg nach Palästina. Infolge langanhaltender Dürreperioden drängen Scharen aramäischer Halbnomaden in die fruchtbaren Regionen am Mittelmeer. Mehrere tausend Flüchtlinge aus dem Raum der arabischen Wüste dürften in Kürze am Rande des Kulturlandes auftauchen. Aus einigen kanaanäischen Stadtstaaten ist zu vernehmen, dass man eine Mobilmachung der Streitkräfte für unabdingbar notwendig hält. Man befürchtet eine Überfremdung der kanaanäischen Kultur und große Einbußen bei der Nutzung des Weidelandes. Entsprechende Absprachen zwischen den einzelnen Stadtkönigtümern sind nach Auskunft wohl unterrichteter Kreise in vollem Gange.

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn es vor knapp viertausend Jahren schon so etwas wie Nachrichten gegeben hätte, ich bin mir sicher, dass diese oder zumindest eine ähnliche Meldung dann rund um den Erdball gegangen wäre.

Im 19. und 18. Jahrhundert vor Christus erschütterte nämlich eine ungeheure Bewegung den Nahen Osten und das ganze Zweistromland. Überall in der arabischen Wüste packten Nomadengruppen ihre Zelte und zogen dorthin, wo das Leben noch lebenswert war. In einer gewaltigen Wanderwelle ergossen sich ganze Nomadenstämme in das Gebiet des Zweistromlandes und Palästinas.

Einer von ihnen war Abraham.

Das klingt ungewohnt, denn normalerweise denken wir kaum daran, dass da noch andere Sippen waren, dass da andere mit dem gleichen Ziel wie Abraham aufgebrochen sind. Wenn man allein den biblischen Bericht hört, diesen Abschnitt vom Aufbruch Abrahams, wie wir ihn eben in der Lesung gehört haben, dann klingt das immer so, als wäre einzig und allein Abraham mit seiner Familie aufgebrochen.

Und es klingt auch so, als wäre er selbst gar nicht auf diesen Gedanken gekommen. Es hört sich dort so an, als ob Gott ganz urplötzlich in das Leben des Abraham einbricht und ihm aus heiterem Himmel gleichsam den Befehl gibt, seine Heimat zu verlassen und in ein fernes Land zu ziehen.

Das aber ist falsch!

Abraham selbst spielte nämlich ganz sicher mit dem Gedanken aus seiner Heimat aufzubrechen, so wie Tausende andere auch. Die Weideplätze waren schlecht geworden, es gab kaum noch Nahrung für die Herden. Die arabische Wüste, die ursprünglich einmal die Heimat all dieser Menschen war, gab kaum noch etwas her; ganz anders, als die Ländereien Mesopotamiens und die milden Regionen Palästinas, die den Nomadengruppen ja geradezu wie ein Land, in dem Milch und Honig fließen, erscheinen mussten.

Dort wollte man hin, an den Annehmlichkeiten dieses Landes wollte man Anteil haben, deshalb gab man die angestammten Wandergebiete gerne auf. In Scharen drangen die Menschen deshalb damals in Mesopotamien und Palästina ein; Menschen, die sich aufmachten, um an den Annehmlichkeiten des Kulturlandes teilhaben zu können; Menschen, die wir heute ganz einfach "Wirtschaftsflüchtlinge" nennen würden.

Und Abraham war einer von ihnen.

Abraham hatte nur ein Problem: Seine Frau war nämlich unfruchtbar. Und konnte er es wirklich wagen, mit einer Frau aufzubrechen, die unfruchtbar war; aufbrechen in eine ungewisse Zukunft hinein, nicht wissend, ob einmal genügend Nachkommen da sein werden, die einen im Alter versorgen; nicht wissend, ob er es tatsächlich schaffen werde, in diesem heißbegehrten neuen Lebensraum einen Flecken für seine Herden zu ergattern. Allein diese Sorgen hielten den Abraham noch zurück.

Gott musste ihm deshalb nicht erst befehlen, das Land, das schon lange nichts mehr hergab, hinter sich zu lassen. Was in der Bibel geschildert wird, ist nicht ein Befehl Gottes, dem der Abraham dann heldenhaft gehorcht. Gott befiehlt gar nichts. Gott macht etwas ganz anderes: Gott macht dem Abraham Mut.

"Wage es ruhig! Brich auf, es wird gut geh'n! Du wirst Nachkommen haben, und du wirst in das Land kommen, das du dir ersehnst. Es wird geschehen, denn ich bin bei dir, um dich zu geleiten. Ich gehe mit dir, ich selbst begleite dich auf diesem Weg in dieses neue Land."

Gott fordert den Aufbruch des Abraham nicht, Gott ermutigt dazu. Gott macht dem Abraham Mut aufzubrechen, ruhig in das Land zu ziehen, von dem er sich erhofft, dass es ihm dort besser gehen wird.

Wie viele mag Gott heute ermutigen?

Sie kommen schließlich in Scharen, all diejenigen, die dort, wo sie geboren wurden, keine Perspektive mehr sehen, die Leben wollen, die fliehen, auf der Flucht sind vor Krieg, vor Verfolgung, vor Hunger, Arbeitslosigkeit, vor Armut und dem Fehlen jeglicher Perspektive. Sie machen das gleiche wie Abraham: Sie brechen auf voller Hoffnung.

Und der Gott der Bibel macht ihnen Mut.

Und er macht sogar sehr viel mehr. Auch das macht uns die Bibel mehr als deutlich. Gott macht all diesen Menschen nicht nur Mut.

Etwa 750 Jahre nach Abraham bringt er es gleichsam auf den Punkt. Zu dieser Zeit gab es nämlich noch einmal eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen. Eine große Gruppe, eine, die uns ein paar Hundert Jahre nach Abraham im ganzen Vorderen Orient begegnet, von Mesopotamien bis nach Ägypten.

Das war kein Volk, diese Menschen waren nicht miteinander verwandt. Eines aber verband sie. Sie alle waren Menschen, die offenbar nicht sesshaft waren. Und sie kamen wie aus dem Nichts und überschwemmten plötzlich die ganze zivilisierte Welt.

Vor allem aber waren sie Menschen, die minderen Rechts waren; Menschen, die nicht wirklich Rechte besaßen. Es handelt sich um Menschen, die letztlich schlechter gestellt waren als Sklaven und die man durchaus auch zu Dienstleistungen heranzog, die etwa Steine ziehen mussten.

Und noch etwas anderes verband diese Menschen.

Es ist ihr Name. In allen Kulturen der damaligen Welt, werden sie nämlich mit der gleichen Bezeichnung benannt. Sie heißen überall gleich. Und diese Bezeichnung kennen wir, sie hat sich sogar in unserer Bibel erhalten, denn auch im Ägypten in biblischer Zeit, tauchen solche Menschen plötzlich in großer Zahl auf. Dort heißen diese Menschen Hebräer.

Hebräer, das ist kein Volk, das ist keine nationale Größe, es ist nicht einmal ein Sippenverband. Hebräer, so nannte man damals Menschen, die wir heute als Migranten, als - wenigstens Nachfahren von - Wirtschaftsflüchtlingen bezeichnen würden. In Ägypten haben sie biblische Spuren hinterlassen.

Und Sie wissen, was der Gott der Bibel mit den Hebräern getan hat. Er hat sich ganz auf ihre Seite gestellt. "Mein Volk", hat er sie genannt. Er hat sie aus der Sklaverei befreit, er hat ihnen Recht gegeben. Hat sie zu Menschen werden lassen, die Rechte haben. Und er hat sie in ein Land geführt, in dem Milch und Honig fließen; in das Land, in dem die Kanaanäer lebten.

Das hat den Kanaanäern nicht gefallen. Da waren die nicht begeistert darüber, dass da Scharen von Mittellosen plötzlich vor den Städten und festen Häusern auftauchten, dass da andere auch etwas von den Annehmlichkeiten des Kulturlandes, ein Stück vom Kuchen des Wohlstandes abhaben wollten.

Die Kanaanäer, die, die damals Herren dieses Landes waren, die packte mittlerweile schon die Panik angesichts der heranrückenden Scharen. Und sie hatten alle Hände voll zu tun, um ihren Besitzstand zu sichern und ihre Angst vor kultureller Überfremdung zu überwinden.

Aber wissen Sie was? Das war diesem Gott offenbar egal! Der Gott der Bibel ist parteiisch. Und er stand schon seit jeher nicht auf der Seite derer, die im Wohlstand leben. Das tat er damals nicht und heute tut er es nicht weniger. Spätestens seit Jesus sein Gleichnis vom Reichen und dem armen Lazarus erzählt hat, müsste uns das eigentlich geläufig sein.

Und in einer Antoniusgemeinde muss das allemal präsent sein. Antonius von Padua hat sich schließlich ganz bewusst für den Franziskaner-Orden entschieden - für einen Bettelorden. Für genau den Orden, der unserer Welt und unserer gewinnorientierten Gesellschaft den Spiegel vor die Augen hält. Für einen Orden, der sich freiwillig der Armut verschrieben hat, um uns wieder neu deutlich zu machen, dass Gott andere Prioritäten setzt als wir. Dieser Antonius ist ein Bettler geworden. Einer von denen, die heute an den Stammtischen als Sozialschmarotzer bezeichnet würden.

In den Augen der Welt Schmarotzer; in den Augen Gottes eines seiner Kinder, eines, das auf die Hilfe anderer angewiesen ist, eines, das den wohlhabenden Kindern anvertraut ist.

Klar, natürlich hört man immer wieder: "Wir können doch nicht allen helfen, wir können doch nicht alle aufnehmen!" Natürlich können wir nicht die Not der ganzen Welt heilen. Wir können nur das tun, was uns wirklich möglich ist. Keiner muss mehr Hilfe leisten als er zu helfen in der Lage ist.

Aber Hand aufs Herz - bei einem Land wie dem unseren - bei uns hier -, da ist noch verdammt viel Luft nach oben; viel Luft, bis wir an die Grenze dessen gelangen, was uns möglich ist, ohne dass wir uns auch nur im Geringsten einschränken müssten.

Wir können nichts dafür, wir haben nichts dazu getan, dass wir auf einem Flecken der Erde geboren worden sind, auf dem es Wohlstand im Überfluss gibt. Das ist uns geschenkt worden.

Aber es wurde uns nicht für uns geschenkt! Es ist uns geschenkt worden, um es zu teilen, zu teilen mit denen, die nicht so viel Glück im Leben hatten.

Der Gott der Bibel macht uns das immer wieder deutlich. Denn Gott steht auf der Seite der Armen, der Unterdrückten und der Ausgestoßenen. Er hat sich schon immer, schon seit jeher auf die Seite derer gestellt, die keine Perspektive im Leben mehr gesehen haben. Und denen macht er Mut. Nicht zuletzt Mut zum Aufbruch, dorthin, wo es Wohlstand in Fülle gibt, wo die sind, die eigentlich teilen könnten, wenn sie es nur wollen.

Gott ermutigt zum Aufbruch, denn Gott ist parteiisch. Gott steht auf der Seite des armen Lazarus und Gott steht auf der Seite der Hebräer. Und er steht nicht minder auf der Seite des Abraham. Er steht auf der Seite des Wirtschaftsflüchtlings, auf der Seite des Ausländers, auf der Seite dessen, der aus Not in die Fremde zieht.

Wenn wir auf einer anderen Seite stehen, dann stehen wir nicht auf der seinen!

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 14. Juni 2015 bei der Antoniusandacht in Oberachern)