Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


26. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 21,28-32)

In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes: Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn, und er ging doch. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der zweite. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Denn Johannes ist gekommen, um euch den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen, und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen, und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt. (Mt 21,28-32)

Es war ganz zu Anfang meiner Dienstzeit, als ich Vikar in Breisach war. In der Westhalle des Breisacher Münsters befindet sich das riesige Gemälde Martin Schongauers mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts. Und durch dieses Bild hab' ich mich hinreißen lassen und mal so eine richtige Predigt über Gericht und Sünde, über Buße und Umkehr gehalten.

Es war keine Höllenpredigt, aber so ein bisschen davon hat sie schon gehabt. Ich junger Spund hab den Gottesdienstteilnehmern damals doch schon ganz gehörig den Marsch geblasen.

Und was ist passiert? Kaum dass der Gottesdienst zu Ende war, überfielen mich auch schon eine Reihe von Leuten, klopften mir gleichsam auf die Schulter und meinten: "Toll, Herr Vikar, heut' haben Sie's ihnen mal wieder gesagt!"

Liebe Schwestern und Brüder,

ja, den anderen... selbst angesprochen hat sich keiner gefühlt.

Ist aber doch auch so. Sobald es um Lob und Anerkennung geht, heben wir gleich den Kopf und fühlen uns geehrt. Wenn uns aber jemand die Leviten liest, dann meint das grundsätzlich nur die anderen!

Mit dem heutigen Evangelium ist es vermutlich kein bisschen anders. Oder fühlen Sie sich angesprochen, wenn Jesus sagt: "Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr."

Es ist eine große Gefahr, dass wir uns im Blick auf die Heilige Schrift nur die Rosinen herauspicken. Alle Verheißung gilt uns, aber was Jesus zu kritisieren hat, das wendet sich lediglich an die Adresse seiner Zeitgenossen, an Pharisäer, Sadduzäer, Schriftgelehrte - sprich: an alle, nur nicht an uns.

Und dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass Jesus heute nicht minder kritisch auftreten würde, als zu seiner Zeit.

In unseren Kirchen würde er kaum predigen. Gepredigt hat er auch damals auf den Plätzen und auf den Straßen. Und wir würden von seiner Predigt wohl auch kaum etwas mitbekommen, denn mit den Menschen, mit denen er sich umgeben würde, würden wir uns wohl kaum blicken lassen. Wer von uns lässt sich denn auch mit Dirnen, Ex-Sträflingen oder sonstigen zwielichtigen Gestalten ein. Würden wir's tun, wir hätten gleich unseren Ruf weg ...

Wenn wir aber nicht bei diesen da stehen, wo stehen wir dann? Bleibt da noch die Seite derer, auf der vor zweitausend Jahren auch die gestanden sind, die so sehr von sich überzeugt waren, die man selbstherrlich nannte und selbstgerecht, die auf alle, die es nicht geschafft hatten, ihr öffentliches Ansehen in genau der gleichen Weise aufzupolieren, mit Verachtung herabsahen - oder zumindest mitleidig.

Aber das waren genau die, die die allermeiste Kritik Jesu abbekamen: "Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr."

Was er da vor zweitausend Jahren gesagt hat, er würde es heute wohl genau so wieder sagen. Zu wem anders aber, als zu uns?

Irgendwie sollten wir es uns wohl doch zu Herzen nehmen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 24. September 2005 in der Pauluskirche, Bruchsal)