Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Ostersonntag (Joh 20,1-9)
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein, er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste. (Joh 20,1-9)
Ihnen ist schon klar, dass Sie nur noch acht Monate Zeit haben. Es bleiben nur noch acht Monate, um die Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Bis Heiligabend sind es noch gerade mal 244 Tage.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich bin mir ganz sicher, dass mir eine Reihe von Ihnen sogar zustimmt. Die Zeit läuft schließlich schneller ab, als uns in aller Regel lieb ist. Gerade erst war doch noch Weihnachten und jetzt haben wir schon wieder Ostern. Und wenn die Pfingstferien vorüber sind, steht der Herbst bereits vor der Tür.
Das Rad der Zeit dreht sich von Jahr zu Jahr schneller - und wir mit ihm. Auf ein Jahr folgt das nächste, auf jeden Frühling wartet schon der nächste Lenz. Und auf jedes vergangene Ostern folgt schon wieder ...
Nein, auf Ostern folgt nicht schon wieder das nächste Ostern. Eigentlich ist das Unsinn. Das stimmt doch gar nicht. Auf Ostern folgt kein Ostern mehr. Ostern ist nämlich vorbei. Ostern ist Geschichte. Und Ostern wird es nie wieder geben. Wir feiern heute nur, was sich einmal ereignet hat. Wir denken nur daran, dass Ostern war, vor langer, langer Zeit, als ein Punkt auf dem langen Strahl der stetig verstreichenden Zeit. Denn Zeit verstreicht, sie vergeht, sie kehrt nicht wieder. Unsere Zeit heute war noch niemals da. Den heutigen Tag erleben wir zum ersten Mal. Und was morgen geschieht, kann noch kein Mensch sagen.
Nur deshalb machen wir uns schließlich Sorgen. Deshalb fürchten sich Menschen, haben Angst, Angst vor der Zukunft, vor Schicksalsschlägen, vor allem eben, was noch auf uns warten mag. Was wir überstanden haben, das macht uns stolz, freut uns - oder es schmerzt und macht traurig. Aber es liegt hinter uns. Das Morgen, das ist die große Unbekannte. Denn niemand von uns weiß, was uns die Zukunft genau bringen wird.
Genau diese Vorstellung von Zeit vermittelt uns übrigens auch die Bibel. Es war sogar eines ihrer herausragenden Anliegen. Die Bibel korrigiert das Bild von Zeit, wie es in der Umwelt Israels vorherrschte.
Dort dachte man sich die Zeit nämlich wie einen ewigen Kreislauf. Die Zeit als währender Kreis des Werdens und Vergehens. In diesem Kreislauf erhielten folgerichtig auch die Fruchtbarkeitskulte ihre überragende Bedeutung. Der Gott Baal ließ den Kreislauf des Wachsens in jedem Jahr neu beginnen, ihm glaubten die Menschen zu verdanken, dass die Vegetation in jedem Frühjahr neu wurde, um am Ende des Jahres wieder zu sterben. Die Menschen aber waren gefangen in diesem Kreislauf der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Und ihnen blieb letztlich nur die Bedeutungslosigkeit. Der eine starb, er ging, ein anderer kam, wurde geboren. Das Rad der Zeit drehte sich weiter.
Der Gott Israels aber durchbricht diesen Kreislauf. Dieser Gott erwies sich nämlich als Gott der Geschichte, ein Gott, der sein Volk führt - der den Menschen führt - der durch die Zeit hindurch führt. Er ist der Gott, der mit den Menschen mitwandert, auf allen Wegen, die sie gehen, auch auf dem Weg durch die Zeit unseres Lebens. In der Bibel hatte die Zeit erstmals eine Richtung. Sie beginnt "im Anfang" - wie die Schrift sagt - und sie führt auf ein Ziel hin.
Die Bibel macht uns dabei nichts vor. Sie verheimlicht nicht, dass der Weg durch diese Zeit hindurch erst einmal gegangen werden will. Und dass es ein Weg ist, der nicht nur über Höhen führt, sagt sie uns nicht minder deutlich. Es liegen tiefe Schluchten vor uns, und oftmals wissen wir nicht, wie wir sie durchstehen sollen: die Prüfung, die vor uns liegt, die Auseinandersetzung mit Menschen, die uns lieb sind, den Ärger mit dem Partner, am Arbeitsplatz, das Unverständnis, mit dem uns die Kinder begegnen, oder auch der Eingriff, der vor uns liegt, die Krankheit, die uns niederwirft...
Und wir wissen auch, dass wir sterben werden - manche von uns ganz plötzlich, andere langsam, vielleicht qualvoll.
Er wirkt häufig sehr bedrohlich, dieser Weg, der noch vor uns liegt, denn noch niemand ist diesen Weg vor uns gegangen. Kein Leben ist nämlich wie das andere. Und Geschichte wiederholt sich nicht.
Aber sie hat einen Herren, einer, der über ihr steht, einer, der die Zeit in Händen hält. Und genau das ist Botschaft der Bibel. Gott ist der Herr der Geschichte und dieser Gott steht an unserer Seite.
In immer wieder neuen Bildern und Gleichnissen schildert uns die Bibel, wie Gott die Geschichte lenkt, hin zu dem Ziel von dem er sagen wird, dass jetzt alles gut ist.
Und das gewaltigste Bild ist jenes, das uns heute wieder vor Augen geführt wird, an das wir jedes Jahr erinnern, um wieder neu Kraft daraus schöpfen zu können, Kraft für den Weg, der genau jetzt vor uns liegt. Es ist das Sprechen von Ostern, von der Auferstehung, davon, dass Jesus den Tod überwunden hat, dass der Vater ihn nicht im Tod gelassen hat, dass er durch den Tod hindurch gegangen ist, in eine neue Wirklichkeit von Leben. Und die Schrift sagt dadurch, in einem unüberbietbaren Bild, dass auch unser Leben nicht nur ein Ziel hat, dass unser Leben am Ende sogar durchgehalten wird, dass es hindurchgetragen werden wird, durch den Tod hindurch in jene neue Dimension von Leben, die uns dieser Gott eröffnet.
Es mögen noch so viele Tage vor uns liegen, Tage voller Sorgen, Tage voller Furcht und Angst. Es mögen noch so viele Fragezeichen am Horizont stehen - wir sind nicht der Spielball des Schicksals. Gott steht an unserer Seite und er geht mit uns. Unsere Zeit liegt in seiner Hand. Und er führt sie, nein, nicht an ein gutes Ende, er führt sie zu einem Ziel, er eröffnet uns ein Ziel, das hineinreicht durch den Tod hindurch in eine neue Dimension von Leben: In ein Leben hinein, von dem Gott sagen wird, dass jetzt wirklich alles gut ist.
Amen.
(gehalten am 24. April 2011 in der Antonius- und Peterskirche, Bruchsal)