Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Weihnachten - Am Tag
Weihnachtsplätzchen sind süß, kleine Kinder sind süß, und deshalb mag das Kind in der Krippe nicht minder süß gewesen sein. Aber dass Glocken süß klingen - das hört sich doch richtiggehend nach Blödsinn an.
Liebe Schwestern und Brüder,
aber genau diesen "Blödsinn" singen in diesen Tagen Tausende von Menschen. Dass die Glocken nie süßer klingen als eben zur Weihnachtszeit, genau das wird momentan immer wieder besungen.
Etwas, was andererseits heutzutage ganz schnell unter den üblichen Weihnachtskitsch einsortiert und dann in der Mottenkiste einer längst vergangenen eben süßlichen Frömmigkeit verstaut wird.
Dabei ist es absolut kein Blödsinn, was in diesem Lied besungen wird. Man muss nur ein wenig nachforschen, was es mit dem süßen Klang letztlich auf sich hat, was "süß" in der Sprache einer längst vergangenen Zeit einmal bedeutet hatte.
Süß waren nämlich nicht nur Kinder, das Kind in der Krippe oder auch die Jungfrau Maria. Im Mittelalter und seiner Dichtung sprach man immer wieder davon, dass etwas süß sei.
Und - was für uns heute absolut unvorstellbar ist - dort waren süß durchaus auch Gräber. In mittelalterlichen Legenden zum Beispiel heißt es, dass die Sterbestätte von Heiligen oft tagelang ein süßer Geruch umgab. Und die Reliquien der Heiligen hätten Meerwasser in Süßwasser verwandelt.
Solche Erzählungen sind uns heute selbstredend fremd. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man damit dem modernen Menschen noch viel über Gott und seine Bedeutung vermitteln kann.
Aber wenn wir uns auf die Suche nach der alten Bedeutung von "Süßigkeit" machen wollen, dann sind solche Geschichten äußerst hilfreich. Sie machen nämlich deutlich, was Menschen einmal mit dem Wort "süß" verbanden.
Süßigkeit war im Mittelalter nicht nur eine Frage des Geschmacks, Süßigkeit war gleichbedeutend mit Heiligkeit. Deswegen der süße Geruch an den Gräbern der Heiligen. Und genau deswegen ist das Kind von Bethlehem ja nicht nur süß, sondern süßer als alle anderen Kinder, alles andere in der Welt überhaupt. Denn das Christuskind ist der Inbegriff der Heiligkeit.
Nichts anderes sollte zum Ausdruck gebracht werden, wenn der mittelalterliche Erzähler vom süßen Kind in der Krippe spricht - Inbegriff der Heiligkeit nämlich. Alle anderen Kinder waren übrigens nicht deswegen süß, weil sie entzückend anzusehen sind. Kinder sind in der Vorstellung dieser alten sprachlichen Ausdrucksweise deshalb süß, weil sie in ihrer Unschuld und ihrer Unverdorbenheit der Heiligkeit des Christuskindes noch ganz nahe waren.
Aber nicht nur die Kinder. Wernher der Schweizer sprach etwa im 14. Jahrhundert in einem seiner Gedichte davon, dass bei der Geburt des Christuskindes über das ganze Römische Reich ein süßer Honigregen niedergegangen sei.
Den Menschen damals war die Bedeutung eines solchen Bildes ganz klar und sehr anschaulich. Nicht nur die Kinder - die ganze damals bekannte Welt, bekam Anteil an dieser Süßigkeit, an der Heiligkeit, denn der Heilige, Gott selbst, ist in die Welt gekommen. Und nicht nur in ihren hintersten Winkel, nein, in alle Welt, seine Heiligkeit, er selbst erfüllt die ganze Welt wie ein süßer Regen, der über die ganze Erde niederging.
Genauso, wie heute die Glocken laut und hell in die Welt hinein klingen und genau davon berichten, dass Gott selbst als Mensch unter uns Menschen, mitten unter uns, greifbar und erfahrbar erschienen ist.
Süßer können sie weiß Gott nicht klingen, denn größer, heiliger, bedeutender kann die Botschaft gar nicht sein, die sie in die Welt tragen.
Wenn Sie demnächst also wieder einmal in das Gesicht eines kleinen Kindes schauen und es Sie überkommt zu sagen: "Ach was ist das doch süß!" oder Ihr Partner mal wieder ganz lieb und aufmerksam ist und Sie gar nicht anders können, als zu ihm zu sagen: "Ach bist du süß!" - vielleicht fallen Ihnen dann auch die Glocken ein, die süßer nie klingen, und Sie denken dann daran, dass Süßigkeit mit Heiligkeit zu tun hat, und dass im Antlitz Ihres Partners, eines kleinen Kindes, eines jeden anderen Menschen genau dieser Heilige erfahrbar wird, dass Sie im Gesicht des andere, auch ins Antlitz Christi blicken, der ihnen im Menschen begegnet.
Heute künden die Glocken davon. Sie verkünden, dass Gott Mensch geworden ist, ein Mensch unter Menschen und dass er in den Menschen begegnet. Und nicht nur in den süßen ...
Amen.
(gehalten am 25. Dezember 2007 in der Antonius- und Pauluskirche, Bruchsal)