Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
15. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Dtn 30,10-14)
Mose sprach zum Volk: Du sollst auf die Stimme des Herrn, deines Gottes hören und auf seine Gebote und Gesetze achten, die in dieser Urkunde der Weisung einzeln aufgezeichnet sind. Du sollst zum Herrn, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zurückkehren. Denn dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so dass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten. (Dtn 30,10-14)
"Oh wie so trügerisch, sind Frauenherzen" singt der Herzog von Mantua, in Verdis Rigoletto - einer der berühmtesten Opernarien überhaupt.
Und es ist irgendwie schon was dran. Eigentlich ist es so etwas wie die halbe Wahrheit: Die Herzen der Frauen sind trügerisch.
Es ist aber nur die halbe Wahrheit. Erst wenn man die Männerherzen noch dazulegt, dann hat man die ganze Wahrheit. Denn Herzen - egal ob von Männern oder Frauen - sind wankelmütig und trügerisch.
Liebe Schwestern und Brüder,
fragt sich wirklich, warum Gott dann darauf baut. Denn das sagt ja die heutigen Lesung: Das was er von uns will, das legt er uns in das Herz hinein. Und dort werden wir es finden, dort werden wir sein Gebot seine Weisung und seinen Willen entdecken können, wenn wir ganz tief in uns hineinhören in unser Herz hineinhören - in dieses wankelmütige, trügerische ach so unzuverlässige Herz...
Tut Gott da wirklich gut daran?
Wäre es nicht besser, er würde uns auf seine Gesetzestafeln verweisen, auf das geschriebene Wort, all die Buchstaben und bedruckten Seiten, die seine Offenbarung enthalten? Wärs nicht weit sinnvoller, wenn er uns auf all die Satzungen und Rechtsvorschriften festlegen würde, die in den zurückliegenden Jahrhunderten gesammelt worden sind, wenn er uns irgendwelche unumstößliche Prinzipien in Erinnerung riefe?
Nein, er verweist uns auf das Wort, das ganz nah bei uns ist, in unserem Mund und vor allem in unserem Herzen.
Warum tut er das?
Ich vermute ganz stark, weil Gott um das Wesen des geschriebenen Buchstabens weiß. Vorschriften fackeln nicht lange, die stehen einfach im Raum und behandeln alle gleich. Da gehts nicht darum, ob die Umstände jetzt so oder anders waren, ob es sinnvoll war, die Anordnung zu übergehen oder ihr sogar genau zuwider zu handeln. Vorschriften und Gebote kennen keine besondere Situation, keine Einzelfälle und nur selten Ausnahmen von der Regel.
Vorschriften sind ohne Gefühle und - vor allem - ohne Herz.
Gott aber will genau dieses Herz.
Immer wieder hat Jesus aufbegehrt, wenn Menschen ihm vorgeworfen haben, er würde sich nicht um das Gebot kümmern, würde gegen Gottes Willen verstoßen. Und er hat uns Menschen gezeigt, dass ich nie gegen Gottes Gebot handle, wenn ich den Menschen in den Mittelpunkt stelle.
Jeder Mensch aber ist anders, jede Situation ist neu und jede Fragestellung braucht deshalb auch eine ganz eigene Antwort. Genau deshalb gilt es in unser Herz hineinzuhören.
Gott geht es nie um seelenlose Gebotserfüllung. Und es geht ihm erst recht nicht um Prinzipienreiterei. Gott geht es immer um den Menschen und dem werde ich nur gerecht, wenn ich ihm als Mensch von ganzem Herzen begegne.
Alle Gebote, von denen wir hören, die wir lesen und die wir gelernt haben, müssen erst durch unser Herz hindurch, um wirklich Gottes Gebote sein zu können.
Wenn Sie also heute oder morgen oder irgendwann in ferner Zukunft wieder einmal vor der Frage stehen, was denn jetzt tatsächlich zu tun ist, was Gott nun genau von Ihnen will, dann schauen Sie ruhig auf all das, was Sie gehört haben, was Ihnen beigebracht wurde und Recht und Ordnung letztlich vorschreibt. Und dann lassen Sie alles ganz tief in ihr Herz und hören noch tiefer in sich hinein. Dort werden Sie spüren, was Gott jetzt und nur in diesem Augenblick wirklich von Ihnen möchte.
Herzen mögen trügerisch sein und wankelmütig obendrein. Aber das nimmt Gott offenbar in Kauf. Die Gefahr der Herzlosigkeit, eines herzlosen Gebotes und unmenschlicher Vorschriften, wäre sonst nämlich viel zu groß.
Buchstaben mögen genauer sein. Aber Buchstaben sind taub für besondere Situationen und sie sind blind für jede Not.
Wirklich sehen nämlich tut man einzig und allein mit dem Herzen gut.
Amen.
(gehalten am 11. Juli 2004 in der Peterskirche, Bruchsal)