Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Pfingstsonntag - Lesejahr A-C (1 Kor 12, 3b-7. 12-13)

Brüder! Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet. Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt. Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt. (1 Kor 12, 3b-7. 12-13)

Ich glaube, ich gründe jetzt auch meine eigene Partei. Ich entwerfe ein eigenes Parteiprogramm, Wahlziele, ein ganz eigenes Profil.

Und dann sorge ich dafür, dass niemand außer mir dieser Partei beitritt - denn dann wäre es ja schon nicht mehr meine Partei, dann müsste ich ja schon wieder Kompromisse schließen und mein ganzes Parteiprogramm wäre verwässert.

Liebe Schwestern und Brüder,

zwei Personen bedeuten schließlich mindestens drei Meinungen - dieses Phänomen ist ja leidlich bekannt. Wenn mehrere Menschen auf einem Haufen zusammen sind, dann ist es vorbei mit der Einigkeit, dann gibt es so viele Meinungen, wie Füße und Hände zusammengenommen.

Wirkliche Einheit, die gibt es nur dort, wo Menschen so überzeugend sind, dass Widerspruch und andere Auffassungen erst gar nicht aufkommen, oder wo man eben die unterschiedlichen Meinungen verhindert, unterdrückt oder gar verbietet.

Ersteres ist sehr selten und meist auch nur von kurzer Dauer - und letzteres ist vom Bösen und viele von Ihnen haben es noch leidvoll erlebt. Sie können ein Lied davon singen, von Zeiten, als man sich jedes Wort zweimal überlegen musste, wenn man nicht Gefahr für Leib und Leben in Kauf nehmen wollte.

Aber selbst wenn man durch Druck nach außen hin scheinbare Einigkeit schafft, diejenigen, die anderer Meinung sind und diese nur nicht zu sagen wagen, die machen sich nichtsdestoweniger ihre Gedanken. Und Gedanken hat Gott sei Dank noch nie jemand wirklich zu kontrollieren vermocht.

Wir werden mit der Tatsache leben müssen, dass dort wo mehrere Menschen zusammenkommen, auch mehrere Meinungen aufeinanderprallen. Und das ist nicht bedauerlich, das ist gut so und das ist wichtig.

Leben ist nämlich komplex und unsere Welt ist vielfältig und keiner kann wirklich alles erfassen. Einer umfassenden Sicht der Dinge nähern wir uns erst dann, wenn wir die Erfahrungen, und die Sichtweisen eines jeden und einer jeden zusammennehmen und daraus eine regelrechte Gesamtschau erstellen. Denn jeder hat seine eigene Sicht, jede ihre ganz eigenen Fähigkeiten und selbst der Jüngste sieht manchmal ein Detail, das man bei aller Erfahrung am Ende doch noch übersehen hätte.

Die Vielfalt ist kein Fluch, ganz im Gegenteil, sie ist ein Segen. Und das gilt für Politik und Wirtschaft genauso wie für Religion und Kirche.

Wenn manche von Einheit sprechen und dabei Einförmigkeit meinen, wenn sie davon träumen, dass in Sachen Religion mit lediglich einer Stimme und nur in gleichen Worten gesprochen werde, dann ist das verständlich, menschlich, aber falsch und ein ganz großer Irrtum.

Wenn Gott das nämlich gewollt hätte, dann hätte er uns Menschen anders geschaffen. Aber er selbst liebt offenbar die Vielfalt und lässt uns durch Paulus wissen, dass die Verschiedenheit unter uns Menschen auf ihn selbst und seine Gnadengaben zurückgeht.

Es gibt so viele Fähigkeiten wie es Menschen gibt und sie alle wollen sich entfalten. Und nur wenn sie es tun, dann blüht eine Gemeinschaft wirklich auf.

Wie sagt Paulus in der Fortsetzung des heutigen Lesungstextes? So hat Gott in der Kirche allen ihre Aufgabe zugewiesen. Da gibt es erstens die Apostel, zweitens die, die prophetische Weisungen erteilen, drittens die, die zum Lehren befähigt sind. Dann kommen die, die Wunder tun oder heilen können, die Dienste oder Leitungsaufgaben übernehmen oder in unbekannten Sprachen reden...

Keiner kann alles alleine. Wenn einer behaupten würde, er allein sei Hirte, Lehrer und Gesetzgeber, er allein habe die Leitung und wüsste als einziger, wo es lang ginge, dann hat er das mit den unterschiedlichen Gaben des Geistes offenbar nicht verstanden.

Denn nach Paulus gibt der Geist diese Gaben nicht einem allein, sondern jeder und jedem für seinen ganz spezifischen Dienst. Und all diese unterschiedlichen Dienste mit ihren ganz eigenen Gaben müssen sich entfalten dürfen.

Nicht zuerst Einmut und Einigkeit, sondern ein neues Erblühen von Vielfalt und Lebendigkeit, das wünsche ich deshalb unserer Kirche. Ein neues Aufblühen in Vielfältigkeit, das allein Ausdruck des lebendigen Gottes ist.

Eine solche Vielfalt mag unübersichtlich sein, schwer zu kontrollieren und vor allem schwieriger zu lenken als Uniformität und gleichgeschaltete Massen. Da wird dann gleich vor Wildwuchs und chaotischen Zuständen gewarnt. Aber wer hat denn da wovor Angst?

Beim Anblick der Unordnung in einem Kinderzimmer wurde mir letzthin gesagt: "Weißt Du, der Kleingeist hält Ordnung, das Genie beherrscht das Chaos!"

Und Gottes Geist hat doch schon von Anfang an bewiesen, dass er Herr über das Chaos ist. Er ist dieser Genius, der am Ende trotz aller Verschiedenheit alles zusammenhält, überblickt und zusammenführt. Der Geist überwindet jedes Chaos und organisiert die Vielfalt.

Und genau das feiern wir an Pfingsten. Denn Pfingsten ist der Festtag der Vielfalt; einer Vielfalt die letztlich das Ergebnis jener Gnadengaben ist, die der Geist uns schenkt. Der Kleingeist träumt von Einfalt, von Gleichschaltung und Uniformität. Der Geist aber beherrscht die Vielfalt. Und nur dieser Geist Gottes ist es, er ist es, der lebendig macht.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 26./27. Mai 2012 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)