Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


31. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Weish 11,22-12,2)

Herr, die ganze Welt ist ja vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt. Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren. Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist. Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr. (Weish 11,22-12,2)

Kommen Evangelische eigentlich auch in den Himmel?

Liebe Schwestern und Brüder,

"Was für eine Frage!" werden Sie jetzt sagen. Natürlich haben sich Katholiken schon längst an den Gedanken gewöhnt, dass alle Christen den "gleichen Herrgott" haben. Katholiken haben schließlich das Heil nicht für sich gepachtet.

Dabei habe ich jetzt ganz bewusst formuliert: dass man sich bei uns an diesen Gedanken gewöhnt hat! Ist ja noch gar nicht so lange her, dass man Protestanten bei uns verketzert und sogenannte "Mischehen" nur zugelassen hat, wenn die Kinder auch tatsächlich katholische getauft wurden. Und manch einer ist ja sogar bis heute noch davon überzeugt, dass nur die katholische Kirche allein seligmachend sei. Es ist leider noch nicht für alle ausgemacht, dass wir als Christen ganz unterschiedslos vor ein und demselben Gott stehen.

Angesichts der Haltung von solch "ewig Gestrigen" wird manch einer den Kopf schütteln. Aber seien wir vorsichtig: Was tun wir, wenn ich die Frage noch einmal anders stelle? Was ist, wenn ich frage: "Kommen denn eigentlich auch Muslime in den Himmel?" Und jetzt nicht in irgendeinen, ich meine: in den selben Himmel wie wir! Da wird die Zahl derer, denen das bei weitem zu weit geht, schon sehr viel größer sein. Christ muss man schließlich schon sein!

Aber hat Israel vor 2000 Jahren nicht ganz ähnlich gedacht - damals in der Zeit, als ein Jesus von Nazareth in Palästina geboren wurde? Israel hatte schließlich einen Bund mit Gott geschlossen, war Gottes auserwähltes Volk. Wer auf der Welt sollte Heil empfangen, wenn nicht Israel? Es allein war schließlich auserwählt.

Dieser Gott aber hat sein Volk immer wieder eines Besseren belehrt. Und ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wie häufig Propheten davon sprechen, dass der Gott der Bibel nicht nur das Heil seines Volkes, dass er das Heil aller Völker will. Und auch der Text aus der heutigen Lesung, jener Abschnitt aus dem alttestamentlichen Buch der Weisheit, geht genau in diese Richtung. Gott liebt alles, was ist, denn in allem ist sein unvergänglicher Geist. Auch in Assur, Israels Todfeind, auch in Babylon oder Ägypten!

Für die Menschen in Israel mussten solche Gedanken ungeheuerlich klingen. Nicht viel anders, als es für viele Christen klingt, wenn man heute die Frage stellt, ob denn Muslime auch in denselben Himmel kommen wie wir.

Wir stehen heute am Tag vor dem Reformationstag. Und wenn wir gerade heute diesen Text aus dem Weisheitsbuch hören, dann ist das für mich wie eine Nuss - eine Nuss die es zu knacken gilt oder an der man sich die Zähne ausbeißen kann.

Zumindest geht es mir so. Ich frage mich beispielsweise bei solchen Texten und vor allem an solchen Tagen wie dem morgigen: Was wäre denn geworden, wenn meine Eltern evangelisch gewesen wären? Würde ich dann etwa anders glauben? Wäre ich dann ein anderer Mensch? Würde ich deshalb falscher leben als jetzt? Und was wäre, wenn ich in Syrien, in Marokko oder in Saudi Arabien geboren worden wäre, würde ich deshalb einen anderen Gott suchen, als den, den ich jetzt gefunden zu haben glaube?

Gott liebt alles was ist, er ist der Freund des Lebens, in allem ist sein unvergänglicher Geist. Heißt das nicht, dass er sich dann auch überall finden lässt?

Vielleicht müssen wir uns ganz einfach immer stärker an den Gedanken gewöhnen, dass es eine Vielzahl von Wegen gibt, auf denen man sich diesem Gott nahen kann - vielleicht so viele Wege, wie es Menschen auf der Welt gibt.

Und vielleicht ist es sogar so, dass es völlig gleichgültig ist, welchen Weg Menschen beschreiten; und das im engen Sinne des Wortes - "gleich - gültig" nämlich - weil das eigentliche Ziel immer ein und derselbe Gott ist.

Israel bekam das immer wieder deutlich gemacht. Es musste sich damit abfinden, dass es keinen Ausschließlichkeitsanspruch auf das Heil hatte. Manche Katholiken haben noch nicht verdaut, dass in unserer Kirche mittlerweile begriffen wurde, dass Gott auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche Heil schafft. Und in anderen Religionen tut man sich mit dieser Vorstellung sicherlich nicht minder schwer.

Aber wer weiß - vielleicht werden sich am Ende alle Menschen daran gewöhnen müssen, dass Gott weit größer ist, als unser Herz.

Die Welt ist Gottes so voll!

Und ich denke immer mehr, dass auf vielen, dass vielleicht auf allen Wegen und in allem Gottes unvergänglicher Geist weht. Denn der weht immer und zwar genau dort, wo er es will.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 30. Oktober 2016 im Gemeindehaus St. Martin, Karlsruhe)