Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Weihnachten - Am Tag (Joh 1,1-5. 9-14)
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,1-5. 9-14)
Tief verschneite Tannen, Mond und Sterne und dunkle Nacht. Und dann Geschichten von Ochs und Esel und den Hirten und dem Kind auf Heu und auf Stroh - das ist Weihnachten, das sind die Bilder, die wir alle im Hinterkopf haben, wenn wir an Weihnachten denken.
Und dann schauen Sie sich die Wirklichkeit an: Es ist Morgen, es ist matschig-grau draußen und zu allem Überfluss hören wir am Weihnachtstag auch noch einen Abschnitt aus dem Evangelium, der so philosophisch hochgestochen ist, dass er alles anregt, nur nicht unser Gefühl.
Liebe Schwestern und Brüder,
im Mittelpunkt des Festtages, der für uns - wie kein anderer im ganzen Jahr - mit Gefühlen zu tun hat, ja richtiggehend gefühlsbeladen ist, im Zentrum dieses Tages steht ein Evangelium, das so nüchtern, so trocken und darüber hinaus auch noch so unverständlich ist, wie kaum ein anderer Text in der ganzen Bibel.
Es hat fast den Anschein, als wollte man uns die Weihnachtsstimmung mit Fleiß kaputt machen. Und ich gebe zu: es hat Jahre gegeben, da habe ich mit dem Gedanken gespielt, den komplizierten Hymnus auf den Logos, dieses tiefschürfend bis unverständliche Evangelium, ganz einfach durch den Bericht von den Hirten auf den Feldern und den Stall bei Bethlehem zu ersetzen.
Ich habe es gelassen, denn vielleicht macht es ja doch irgendwo Sinn. Vielleicht muss es ja so sein, vielleicht muss am Weihnachtsmorgen manches von der rührseligen Stimmung ganz einfach kaputtgemacht werden. Vielleicht müssen wir aus den süßlichen Wolken der Weihnachtsgeschichten wieder auf den Boden heruntergeholt werden, auf den Boden unserer Wirklichkeit nämlich; denn nirgendwo anders gehört Weihnachten hin.
Weihnachten ist kein Pendant zu unseren modernen Traumfabriken. Weihnachten ist kein Tag, an dem wir halt ein wenig aus unserer Wirklichkeit ausbrechen, um dann anschließend wieder in unseren tristen Alltag zurückzukehren. Weihnachten ist keine schöne Illusion jenseits unseres Lebens. Weihnachten gehört mitten hinein in dieses Leben!
Und das macht das heutige Evangelium meines Erachtens ganz schnell deutlich. Nicht irgendein süßes Christkindel steht im Mittelpunkt, eine Figur, die uns auf den Weihnachtsmärkten mittlerweile immer öfter als junge Frau im langen fließenden Gewand begegnet. Da beginnt man ja schon fast selber zu glauben, dass dieses Christkindel die jüngere Schwester des Weihnachtsmannes sein muss.
Die nüchterne Sprache des heutigen Evangeliums holt uns zurück auf den Boden: Denn das Wort ist Fleisch geworden. Gottes Sohn, Gott selbst kam in die Welt. Es geht nicht zuerst um den holden Knaben im lockigen Haar, es geht zuallererst um Gottes Sohn, um Gott selbst, der uns Menschen nachgeht und uns auf für uns unbegreifliche Weise nahe kommt, als Gott und Mensch zugleich.
Das Wort ist Fleisch geworden, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Und das ist auch schon der nächste Punkt, den all unsere Weihnachtsrührseligkeit so gerne übersieht. Es geht eben nicht um den märchenhaften Triumphzug eines Gottessohnes, der an Weihnachten seinen Anfang nahm. Das Evangelium ist kein Wintermärchen, das man getrost neben die Sammlung der Gebrüder Grimm ins Bücherregal stellen kann. Es ist das Evangelium vom Gottesknecht, das heute beginnt und das am Kreuz sein scheinbares Ende nehmen wird. Das Kind in der Krippe, es trägt den Todeskeim des Gekreuzigten bereits in sich, denn die Seinen nahmen es nicht auf.
Aber gerade deshalb ist dieser menschgewordene Gott ein Licht, das in der Finsternis leuchtet! Denn genau in diese Finsternis, die Gott selbst als Mensch durchlebt und durchlitten hat, genau in diese Finsternis unseres Lebens spricht seine Botschaft. Sie gilt eben nicht einem verklärten Krippenland, einer Friedensoase oder weihnachtlichen Welt im Ausnahmezustand. Das Licht leuchtet in der Finsternis, mitten im Leben. Leben verfinstert sich nämlich manchmal - und manchmal sogar ziemlich oft.
Genau denen aber gilt Gottes Wort, denen, deren Leben finster geworden ist, denen, die auch an Weihnachten trauern und untröstlich sind, die auch an Weihnachten nicht im Kreis heiler Familien feiern können und deren Schmerzen auch an Weihnachten keine Auszeit nehmen.
Das Licht leuchtet in der Finsternis. Gott selbst ist nämlich dorthin gestiegen, wo es finster geworden ist. Er sitzt nicht auf dem hohen Thron, unberührt von allem, was um uns herum geschieht. Er ist in dieses Leben hineingestiegen und begegnet uns hier, in unserem Leben.
Das hat nichts mit verschneiten Tannen zu tun, das ist keine rührselige Geschichte und es verkauft sich auch nicht besonders gut. Aber es ist die eigentliche Weihnachtsbotschaft und es ist Evangelium, die Botschaft von einem Leben, dem wir trotz allem trauen dürfen, von einem Leben, das wir wagen dürfen, obschon es lebensgefährlich ist, alles andere als weihnachtlich verklärt und meist auch ohne irgendwelche süß klingenden Glocken.
Wir dürfen es trotzdem wagen, wir dürfen diesem Leben trauen, und wir dürfen es deshalb tun, weil Gott es mit uns wagt, weil wir nicht zuletzt durch Weihnachten darum wissen, dass er selbst in dieses Leben hineingestiegen ist, uns darin begegnet und darin begleitet.
Wir dürfen dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.
Amen
(gehalten am 25. Dezember 1999 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)