Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
9. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 7,21-27)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten, und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht? Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut. Wer aber meine Worte hört und nicht danach handelt, ist wie ein unvernünftiger Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es ein und wurde völlig zerstört. (Mt 7,21-27)
176.627 Pfähle bilden das Fundament für die Kirche Santa Maria della Salute. Und 12.000 Stämme tragen die berühmte Rialto-Brücke. Es sind Millionen von Eichen- und Ulmenstämmen, auf die man die Stadt Venedig gegründet hat. Holzstämme tragen eine der bekanntesten Städte Italiens, Holzstämme - alles andere als Fels.
Liebe Schwestern und Brüder,
nicht immer ist nämlich Fels vorhanden, wenn es darum geht, ein Fundament zu legen. Da gibt es dann nur zwei Möglichkeiten: Man kann zum einen dorthin gehen, wo der Boden entsprechend beschaffen ist.
Dann aber hätte man Venedig zum Beispiel in den Bergen errichten müssen. Aber können Sie sich vorstellen, dass Venedig in den Alpen stehen würde? Wie würde der Markusdom wohl am Watzmann aussehen und die Gondeln auf der Isar? Venedig gehört einfach an seinen Ort, in die Lagune, wo die Venezianer auch seit einer halben Ewigkeit leben.
Deshalb haben die Venezianer auch die zweite Möglichkeit gewählt: Wenn nämlich der Untergrund nicht ausreichend ist, um Häuser zu tragen, dann muss man ihn eben entsprechend bearbeiten: Man muss zum Beispiel Pfähle, Holzstämme in den Boden rammen.
Mir ist dieses Bild nicht unwichtig - und das gerade heute, wenn Jesus im Evangelium davon spricht, dass es auch für den Glauben stabile Fundamente genauso wie unzureichende Böden gibt.
Manche haben ja Glück. Manche hören Jesu Wort, vertrauen ihm und leben ihren Glauben, als ob es nie etwas anderes gegeben hätte, als ob sie einfach auf festem Grund, auf Felsen stehen: unerschütterlich und felsenfest. Was für ein Geschenk, wenn man so glauben darf!
Für viele andere aber - und ich möchte fast behaupten: für die meisten - ähnelt der Glaube weit mehr einem Sandstrand als einem stabilen Felsen. Und sie erleben genau das, was Jesus im Evangelium auch schildert: Sand trägt nicht besonders. Gerade dann, wenn ich den Glauben so dringend bräuchte, wenn die Stürme heranbrausen und an meinem Glaubensgebäude zerren, gerade dann erweist es sich als nicht besonders stabil und trägt absolut nicht durch.
Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man sucht so lange, bis man wirklich auf Felsen stößt - aber das ist meist ein Rat, der nicht besonders hilfreich ist. Denn wenn Felsen, ein fester Glaube, so leicht zu finden wäre, wäre die ganze Sache ja überhaupt kein Problem. Aber wie oft ist vom Felsen eben weit und breit keine Spur!
Gerade dann aber, wenn man für sich selbst nur Sand unter den Füßen spürt, dann kann man sich bei den Erbauern von Venedig einen Rat holen. Die machen uns vor, wie man auch auf schlechtem Untergrund einigermaßen stabil bauen kann: Sie schlagen einfach ein paar Pflöcke in den Boden.
Wer den Felsen unter den Füßen nicht findet, der mag ganz einfach damit beginnen, ein paar "Holzstämme" zu suchen: Punkte in meinem Leben, an denen ich denke, etwas von Gott gespürt zu haben, an denen er mir irgendwie nahe war: Das mögen Glücksmomente gewesen sein, Erfahrungen mit Menschen, in denen mir etwas von diesem Gott aufgeleuchtet ist, der ein oder andere Zufall, hinter dem bei genauerem Hinsehen doch mehr stecken müsste, als nur eine Laune der Natur oder des Schicksals.
Solche punktuellen Erfahrungen können wie Holzpflöcke des Glaubens sein. Jeder für sich genommen ist viel zu schwach, um ein Leben darauf zu gründen. Aber wenn der Felsen fehlt, dann lassen sich ja ein paar von diesen Pflöcken bündeln. Und gebündelt ergeben sie zumindest eine Basis, um darauf eine kleine Plattform zu errichten.
Das ist noch kein stabiles Fundament für eine Stadt, aber es lässt sich doch schon recht sicher darauf stehen. Und wenn für die Rialto-Brücke 12.000 Holzpfähle reichen, dann wird eine Handvoll Stämme für mich auch ausreichend sein.
Natürlich zeigt Venedig, dass dies kein Fundament für die Ewigkeit ist. Immer wieder kommt die Stadt in die Schlagzeilen, weil das Fundament nicht mehr recht trägt. Solch ein Fundament ist natürlich recht anfällig. Aber die Stadt Venedig steht nun immerhin schon ein paar hundert Jahre. Und sie zeigt deshalb: Wenn der Felsen fehlt, können ein paar Holzpflöcke durchaus eine Alternative sein.
Sie sind dann zwar nichts für die Ewigkeit - aber ein Menschenleben hält es schon aus.
Amen.
(gehalten am 1./2. Juni 2001 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)