Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Ostersonntag (Joh 20,1-9)
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein, er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste. (Joh 20,1-9)
17 Kilometer!
Liebe Schwestern und Brüder,
Als ich vor einigen Tagen mit meinem Wagen nach Norditalien gefahren bin, ging mir diese Zahl wieder durch den Kopf: 17 Kilometer!
Wie selbstverständlich habe ich den kürzesten Weg gewählt. Und von uns aus betrachtet, heißt das einfach immer nach Süden quer durch die Schweiz und schon ist man da...
Wenn dazwischen nicht ausgerechnet die Alpen lägen und mit ihnen das Gotthardmassiv.
Es fiel mir dieses Jahr zum wiederholten Male auf, was für ein Nadelöhr dieser Abschnitt letztlich bedeutet. Die Straße wird steiler, das Tal wird enger und immer düsterer. Und schon kilometerweit, bevor die Welt dann gleichsam zu Ende zu sein scheint, stauen sich die Lastwagen in schier nicht mehr enden wollenden Schlangen.
Und dann kommt das Schild: "Gotthard Passstraße gesperrt". Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr. Es bleibt wirklich nur noch der Tunnel. Und der ist 17 Kilometer lang!
Es ist jedes Mal für mich ein ganz eigenes Gefühl, sich diesem Tunnelportal zu nähern. Und kann man es mir verdenken, wenn man wenige Tage vor der Karwoche unterwegs ist, dass ich beim Anblick dieses sich vor mir auftuenden Schlundes, - ja schon beinahe: dieses Höhleneinganges - an das Höhlengrab denken musste, in das man den Leichnam des Gekreuzigten gelegt hatte und das mit einem großen Rollstein verschlossen war?
Ich fuhr auf diesen Tunnel zu und musste unwillkürlich an ein Grab denken. Denn diese paar Kilometer, unmittelbar vor dem Tunnel, erinnerten mich plötzlich ganz stark daran, wie sich oft die letzten Jahre im Leben eines Menschen darstellen.
Nicht anders ist es ja mit dem Leben. Es kommt die Zeit, in der die Wege immer steiler zu werden scheinen, in der die Wände immer enger aneinander rücken und der Bewegungsspielraum, den man hat, immer kleiner wird. Es kommt die Zeit, in der es dunkler, in der Leben eng wird und alle andere Wege plötzlich gesperrt scheinen. Es geht auf diesen Tunnel zu, unweigerlich und ohne Ausweg. Das Sterben wird ganz einfach Realität und man kann sich nicht mehr davor drücken.
Ganz ähnlich wie vor diesem Tunneleingang. Wenn man das Portal dann wirklich zu Gesicht bekommt, dann kann man nicht einmal mehr wenden, dann geht es einfach nur unweigerlich darauf zu. Und es geht dann sturheil mit 80 immer geradeaus und mit dem monotonen, surrenden Geräusch des an einem vorbeiziehenden Gegenverkehrs hinein.
"Was, wenn das nie aufhören würde?" durchschoss es mich dieses Mal. "Was, wenn dieser Tunnel keinen Ausgang hätte, wenn das jetzt ewig so weiterginge?" Woher nehme ich denn die Zuversicht, dass es da am anderen Ende tatsächlich wieder hell wird?
Gut, ich bin ihn jetzt schon ein paar Mal gefahren, ich weiß, dass er nach 17 Kilometern zu Ende ist.
Aber wie war das denn beim ersten Mal? Nur weil auf der Straßenkarte auch wirklich ein Ausgang eingezeichnet war, weil andere mir davon erzählt haben, dass es nicht nur in den Berg hinein geht, sondern auch tatsächlich durch ihn hindurch, nur deshalb habe ich mich getraut in dieses Monstrum hineinzufahren?
Wie selbstverständlich habe ich den anderen vertraut, mich auf den Weg gemacht und keinen Augenblick wirklich daran gezweifelt, dass es da nicht nur hinein, sondern tatsächlich hindurch geht.
Warum zweifle ich dann jetzt so oft - bei jenem anderen Tunnel, auf den ich nicht minder unausweichlich zusteuere?
Ich halte doch die Karte in Händen, auf der der Weg hindurch verzeichnet ist. Auch bei jenem Tunnel, auf den mein Leben zusteuert, gibt es ja so etwas wie eine Straßenkarte.
In diesen Tagen wird sie mir ja immer wieder vor Augen geführt - immer dann, wenn davon die Rede ist, dass das Grab geöffnet war, dass er den Tod überwunden hat, lebt und uns hineinnimmt in seinen Ostersieg. Das Evangelium des Ostertages, die Osterbotschaft selbst, sie ist doch mindestens wie diese Straßenkarte, die mir vor Augen führt, dass der Weg auf der anderen Seite des Berges, nach dem Durchgang durch diesen Tunnel, dass der Weg dort weitergeht.
Und Jesus Christus selbst hat ihnen ja die Augen geöffnet: den Jüngern, dem Thomas, der Maria im Garten und all denen, die sich fragend auf die Suche gemacht haben, allen, die dann in der Folge davon berichtet haben, dass der Tod seine Bedrohung verloren hat, dass das Leben sich durch den Tod hindurch Bahn bricht, weil Gott all diejenigen, die zu ihm gehören, nie und nimmer im Tode lässt, weil er das Leben will und ein Gott des Lebens ist.
Was für ein Zeugnis!
Auf das Wort derer hin, die schon mal durch den Gotthard gefahren waren, die mir davon berichteten, dass es der schnellste Weg nach Norditalien sei, auf ihr Wort hin, hab ich ohne zu zögern, voller Vertrauen den Weg durch diese eigentlich furchterregende Höhle gewagt.
Auf sein Wort hin, auf das Wort des Auferstandenen hin, sollten alle trüben Gedanken verflogen sein. Selbst wenn es dann wirklich auf diese dunkle Öffnung zugeht, selbst wenn es keine anderen Wege mehr zu geben scheint, es müsste ganz groß die Zuversicht bleiben, dass es ein Durchgang ist, ein Tunnel, ein sehr langer vielleicht, aber einer, an dessen Ende wieder das Licht steht, so, wie ich es dieser Tage wieder einmal erleben durfte: am Ende wurde es nämlich hell, und viel heller, als diesseits des Berges, und - wir können es uns hier, im noch kalten Deutschland eigentlich gar nicht richtig vorstellen - es wurde auch schon frühlingshaft warm.
Amen.
(gehalten am 23. März 2008 in der Antonius- und Peterskirche, Bruchsal)