Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
7. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B - Zum goldenen Priesterjubiläum
In jenen Tagen erhob sich Petrus im Kreis der Brüder - etwa hundertzwanzig waren zusammengekommen - und sagte: Brüder! Es musste sich das Schriftwort erfüllen, das der Heilige Geist durch den Mund Davids im Voraus über Judas gesprochen hat. Judas wurde zum Anführer derer, die Jesus gefangen nahmen. Er wurde zu uns gezählt und hatte Anteil am gleichen Dienst. Denn es steht im Buch der Psalmen: Sein Amt soll ein anderer erhalten! Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde, - einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein. Und sie stellten zwei Männer auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias. Dann beteten sie: Herr, du kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen. Denn Judas hat es verlassen und ist an den Ort gegangen, der ihm bestimmt war. Dann gaben sie ihnen Lose; das Los fiel auf Matthias, und er wurde den elf Aposteln zugerechnet. (Apg 1,15-17. 20a.c.-26)
Es war einmal...
Es war einmal eine schöne, große Kutsche, mit einem stattlichen Pferdegespann und einer wertvollen Ladung. Auf ihren großen runden Rädern fuhr sie über die holprigen Straßen hinein in die weite Welt.
Im Laufe der Zeit wurden die Straßen immer besser und das Gespann hätte es eigentlich auch immer leichter haben müssen, den großen Kutschkasten von der Stelle zu bewegen, wenn nicht, wenn die Räder nicht ganz allmählich ihre Rundung verloren hätten. Irgendwie wurden sie immer eckiger, die Räder.
Und am Ende mühten sich die Pferde des Gespanns auf mittlerweile topfebenen Straßen die Kutsche von der Stelle zu bewegen. Und sie mussten immer mehr Mühe aufwänden, und brachten es immer weniger zuwege, denn die Räder hatten mittlerweile alle Rundungen verloren. Sie waren eckig, sie waren dreieckig geworden.
Liebe Schwestern und Brüder,
natürlich ist das Quatsch mit jener Kutsche und den dreieckigen Rädern. Natürlich gibt es weder diese Kutsche noch wirklich eine Geschichte in der sie tatsächlich vorkommt. Ich hab sie ganz einfach erfunden. Aber ich habe sie erfunden, weil mir das Bild mit den dreieckigen Rädern unheimlich gut gefällt und es im Grunde auch ungeheuer vielsagend ist.
Viele Menschen malen nämlich ein Dreieck, wenn sie die Struktur unserer Kirche aufzeichnen sollen. Sie malen eine Spitze und dorthin setzen sie den Papst. Und darunter kommen dann die Kardinäle, die Bischöfe, die Priester, die Diakone, die Ordensleute und zuunterst die Laien: ein Dreieck, mit dem Papst als einsamer Spitze und der breiten Basis des Kirchenvolkes.
Haben Sie schon einmal eine Kutsche gesehen, die auf dreieckigen Rädern fährt? Kreisrund müssen Räder sein, damit sich ein Gefährt ordentlich fortbewegen lässt. So rund, wie das Bild, das die Schrift von der Struktur von Kirche und Gemeinden zeichnet.
Da kommt beispielsweise, wie es eben in der Lesung aus der Apostelgeschichte heißt, die ganze Gemeinde der Jünger zusammen, über 120, um einen Nachfolger für den Judas zu bestimmen, da spricht Paulus davon, dass es die unterschiedlichsten Gaben in der Gemeinde gibt, die es alle braucht, um Gemeinde aufzubauen und dass jedes Charisma seinen eigenen Platz und seine ganz eigene Bedeutung hat, und dass Christus es ist, der die Gemeinde eint, so wie die Nabe die Speichen eines Rades verbindet und für ein geordnetes Miteinander aller Teile sorgt, die dem Rad seine Lauffähigkeit garantiert.
Ich denke, das ist das Bild, das Jesus von Kirche und Gemeinde hat: Er ist die Mitte. Und um ihn herum versammelt sich die Gemeinde - jeder und jede mit ihrem ganz unverzichtbaren Platz und ihrer je spezifischen Aufgabe, ihren Gaben und ihrem ganz eigenen Wert.
Irgendwann einmal in der Geschichte unserer Kirche, scheint mir dieses Kreisdenken auf der Strecke geblieben zu sein. Je stärker wir aber eckig denken, desto weniger bewegt sich der Wagen, desto schwerer fällt es, ihn von der Stelle zu bewegen, desto müder wird das Gespann und desto aussichtsloser die Nachfolge. Je mehr wir in Dreiecken denken, in oben und unten, in näher bei Gott und weiter entfernt, in Fachleuten und Laien, desto mehr entfernen wir uns von dem Bild, das Christus selbst von seiner Kirche hat, desto eckiger werden die Räder des Kirchenwagens und desto unbeweglicher und statischer wird er.
Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum das mit den Priesterberufen heute vorne und hinten klemmt, warum Gott - trotz aller Aktionen, trotz aller Gebete, trotz aller Anstrengungen - warum er nicht mehr Menschen in diesen Dienst ruft. Vielleicht will er, dass wir wieder ganz neu entdecken und begreifen lernen, wie Kirche und Gemeinde eigentlich sein soll, und wie die Priester zu sein haben, die es für diese Kirche braucht.
Gott braucht niemanden, der sich zum Herren über den Glauben anderer aufspielen will. Gott braucht Menschen, die dem Glauben der Menschen dienen möchten und die ihren Platz im Kreis all derer, die sich um Christus versammeln einzunehmen bereit sind, ihren Platz im Kreis einnehmen, und nicht nach oben schielen, an Karrieren basteln und sich zu sogenanntem Höherem berufen wissen.
Diener braucht es, wirkliche Diener, und nicht nur solche, die sich als solche bezeichnen. "Denn wenn die Kirche nicht dient", sagt Bischof Galliot, "dann dient sie zu nichts."
Heute kann ich das guten Gewissens sagen. Heute nämlich ist einer unter uns, der das ein Leben lang so praktiziert hat. Heute feiert unser Bernhard Ripperger, dass er auf eine fünfzigjährige Dienstzeit zurückblicken kann. Heute feiert einer, der nie nach dreieckigen Kopfbedeckungen gestrebt hat, einer, der ein rundes, ein menschenfreundliches Gesicht hat und dem es ein Leben lang ein Anliegen war, bei den Menschen zu sein. Denn bei den Menschen zu sein, das heißt, bei Christus zu sein, wahrhaft Christ zu sein.
Lieber Bernhard, genau dazu gratuliere ich dir heute, und dafür danke ich dir von Herzen, denn darin bist du, nicht nur für mich, darin bist du Vorbild für alle.
Amen.
(gehalten am 28. Mai 2006 in der Antoniuskirche, Bruchsal)