Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
2. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr A (Gen 12,1-4a)
In jenen Tagen sprach der Herr zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte. (Gen 12,1-4a)
Innehalten - das war eines der Stichworte der letzten Tage. Angesichts der schrecklichen Ereignisse in Japan sei es angezeigt, innezuhalten, um das Geschehene erst einmal verarbeiten zu können.
Liebe Schwestern und Brüder,
innehalten - das ist auch so etwas wie das Stichwort dieser Zeit. Die Vorbereitungszeit auf Ostern erscheint häufig als eine Zeit des Innehaltens, des Anhaltens und Zur-Ruhe-Kommens.
Genau jetzt aber beginnt der Wortverkündigungsteil der Messfeier nein, nicht mit "Halte inne!" - er beginnt mit "Brich auf!" Mit dem Aufruf: "Zieh weg!" "Brich auf!" damit beginnt die heutige Lesung. Gott ruft den Abraham zum Aufbruch. Und darin höre ich heute auch Gottes Aufruf an uns.
Die Zeit des Innehaltens ist vorbei! Jetzt ist die Zeit des Aufbruchs, weil Gott selbst dazu ruft!
Er ruft uns, jede einzelne und jeden einzelnen, er ruft unsere Gemeinden und er ruft unsere ganze Gesellschaft. Ganz besonders vor dem Hintergrund der Geschehnisse dieser Tage.
Ich stehe hier erschüttert bis ins Mark, wenn ich mir vor Augen halte, was in diesen Tagen in Japan passiert. Tausende, vielleicht Zehntausende, haben ihr Leben verloren; Abertausende alles, was sie hatten. Und alles wird noch einmal übertroffen vom Unvorstellbarsten überhaupt - von dem, was sich allen Vorhersagen nach nie hätte ereignen dürfen - und sich augenblicklich in den Reaktorblöcken jenes japanischen Kraftwerks nichtsdestoweniger ereignet.
Wer immer noch davon spricht, dass mit Sicherheit Explosionen, Strahlenschäden und sonstige Katastrophen bei verantwortlichem Umgang mit solchen Anlagen ausgeschlossen wären, der muss auf beiden Augen blind sein. Und wer glaubt, dass unsere Kraftwerke gegen alle denkbaren Risiken gesichert sind, der unterliegt im Zweifelsfall einem tödlichen Irrtum.
Er verkennt, dass unvorhersehbare Katastrophen sich eben genau dadurch auszeichnen, dass sie nicht vorhergesehen werden können. Auf etwas, was man aber nicht vorhersehen kann, kann man sich auch nicht vorbereiten, geschweige denn dagegen sichern.
Genau deswegen hatte Kardinal Höffner schon vor dreißig Jahren das Risiko der Nutzung von Kernenergie zur Energiegewinnung als unverantwortbar bezeichnet. Auf welch erschreckende Weise hat er nun schon wiederholt Recht behalten!
"Brich auf", heißt es heute. Und ich höre hier den Ruf an unsere Politiker. Lasst ab von dem, was sich als falsch erwiesen hat. Hört auf, davon zu sprechen, dass unsere Gesellschaft ohne diese Energie nicht auskomme.
Wie hat Kardinal Höffner vor dreißig Jahren gesagt? "Genetische und sonstige Schädigungen der jetzt lebenden Menschen und späterer Generationen dürfen nicht aus noch so dringlichen Nützlichkeitserwägungen in Kauf genommen werden."
Wer will den Enkeln und Urenkeln einmal erklären, dass wir doch nicht anders handeln konnten, weil wir auf die Annehmlichkeiten immer und überall verfügbarer Energie eben nicht verzichten wollten. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für einen Pakt mit dem Teufel.
Und deshalb sind wir zum Aufbruch gerufen! Brecht auf, lasst euer Anspruchsdenken hinter Euch, den Anspruch, dass wir in aller Bequemlichkeit leben können müssen, selbst wenn wir dadurch den Lebensraum der Kinder und Kindeskinder vernichten. Hören wir auf mit der Verschwendung von Ressourcen und vor allem mit dem Irrglauben, dass wir uns das ja leisten könnten.
Es ist Zeit zum Aufbruch! Längst Zeit zum Aufbruch - übrigens auch für unsere Kirche!
Auch hier ist die Zeit des Zauderns und Innehaltens schon lange vorbei.
Dialog ist wichtig und miteinander reden unverzichtbar. Aber solch ein Dialog muss Konsequenzen haben und es müssen endlich einmal die Konsequenzen gezogen werden. Die Probleme liegen doch schon lange genug auf dem Tisch. Wo die Reformen ansetzen müssen, ist doch schon lange weithin bekannt. Innehalten und den Mangel verwalten reicht schon seit Jahren nicht mehr aus.
Unser Erzbischof hat davon gesprochen, dass er sich wichtige Impulse erhofft, wenn der Papst kommt. Oh ja, er möge kommen, ein mutiger und den Menschen zugewandter Papst, der die Dinge angeht und die Fenster wieder weit öffnet. Wir brauchen einen mutigen Papst. Und wir brauchen endlich mutige Bischöfe. Bischöfe, die nicht nur darüber reden, sondern den Aufbruch wagen.
Die Gemeinden vor Ort, diejenigen, die sich seit Jahr und Tag unermüdlich engagieren und für das Leben in noch lebendigen Gemeinden garantieren, sie brauchen ein Signal, nur ein einziges wirklich Hoffnung machendes Signal - ein Zeichen des wirklichen Aufbruchs.
Die Menschen, die ich kenne, die Menschen aus der Mitte unserer Gemeinden, sie sind längst bereit dazu. Gottes Ruf stößt auch heute auf keine tauben Ohren. Wir hören, dass er auch uns zuruft: Brich auf, zieh fort aus Deinem Land, aus Deiner gewohnten Umgebung, Deiner Gewohnheit und Deinen ausgetrampelten Pfaden. Brecht auf als Gemeinden, verlasst die Vorstellung, dass alles so bleiben müsse, wie es einmal war. Macht Euch auf zu neuen Ufern. Zeigt Eure Bereitschaft, für Neuerungen offen zu sein, und geht neue Wege unserer Kirche auch wirklich mit. Wir sind zum Aufbruch gerufen und ich glaube, dass Gottes Herde es längst begriffen hat.
Rufen wir den Hirten zu, dass sie sich an die Spitze des Zuges stellen und ihrer Aufgabe und Verantwortung als Führer in eine von Gott verheißene Zukunft gerecht werden sollen. Rufen wir ihnen zu, dass wir ihnen den Mut zutrauen, den Aufbruch zu wagen.
Wenn aber die Hirten versagen, wenn sie nicht vorausgehen, wenn sie zaudernd im Hintergrund bleiben, dann breche die Herde in Gottes Namen eben alleine auf, dann vertraue sie darauf, dass Gott ihr vorangehen wird; dann breche sie eben auf, ganz fest darauf vertrauend, dass die Hirten schon folgen werden.
Amen.
(gehalten am 19./20. Februar 2011 in der Paulus- und Peterskirche, Bruchsal)