Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
14. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Sach 9,9-10)
So spricht der Herr: Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde. (Sach 9,9-10)
Einen neuen Lehrer hatten wir bekommen, ganz frisch von der Uni. Und richtig lieb war er. Er hatte für alles Verständnis, gab uns nicht zu viel auf, meinte es echt gut mit uns und bemühte sich auch immer, freundlich zu sein.
Und wir haben ihn richtig fertiggemacht. Der Lärmpegel in seinem Unterricht war doppelt so hoch wie bei den anderen Lehrern, Hausaufgaben wurden kaum gemacht - er hat es ja doch nicht bestraft! Und ernst genommen hat ihn auch kaum jemand.
Woran das lag? Nun, er war halt der Einzige, mit dem man es machen konnte.
All die anderen Lehrer machten richtig Druck und legten eine Strenge an den Tag, bei der man sich keine großen Extratouren erlaubt hätte. Vor denen hatte man Respekt. Aber mit dem Neuen konnte man es ja machen.
Erst sehr viel später habe ich begriffen, dass wir ihm seine Gutmütigkeit als Schwäche ausgelegt haben.
Begriffen habe ich es erst, als ich den gleichen Fehler gemacht hatte. Als ich das erste Mal nämlich vor einer Klasse stand, habe ich auch gemeint, den Schülern zeigen zu müssen, dass ich doch nur ihr Freund sein wollte. Und das Endergebnis war, dass ich die Sache mit dem Lärmpegel und der Disziplin das ganze Schuljahr über nicht mehr in den Griff bekommen habe.
Wie sagten mir erfahrene Kollegen? Hart durchgreifen muss man die ersten zwei oder drei Wochen, dann kann man langsam die Zügel etwas lockerer lassen.
Liebe Schwestern und Brüder,
was sind wir Menschen doch für dumme Wesen. Vor denen, die ordentlich Druck machen, haben wir Respekt. Und die, die daherkommen, sanftmütig wie ein Lamm, die gelten schon von Anfang an als Weichei.
Und das ist ja nicht nur im schulischen Umfeld so und auch nicht nur, wenn es um Jugendliche geht. Dort, wo man gehörig Druck erfährt - am Arbeitsplatz etwa - dort kuscht man. Und dort, wo es diesen Druck eben nicht gibt - in der Familie, zuhause, bei Frau und Kindern - dort wird dann mächtig Dampf abgelassen.
Warum muss das denn so sein? Warum machen wir uns das Leben selbst so schwer? Warum spuren wir nur dort, wo wir auch wirklich Druck erfahren?
Ganz besonders frage ich mich das im Blick auf unseren Glauben und im Blick auf Gott. Wie oft höre ich den Satz: Es muss den Menschen halt erst wieder richtig dreckig gehen, dass sie nach Gott zu fragen beginnen!
Vor dem strafenden, dem dreinschlagenden Gott, vor dem hat man Respekt? Und den sanftmütigen, den liebenden Vater, den lässt man links liegen? Sollten wir wirklich seit den Tagen unserer Schulzeit nichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben?
Der Prophet Sacharja und mit ihm Jesus von Nazareth haben die Hoffnung offenbar noch nicht aufgegeben. Denn der Prophet spricht davon, dass Gott demütig bleibt und nichts anderes als hilfreich sein will, dass er nicht mit Waffengewalt, sondern auf einem Esel daherkommt, und dass er selbst allem Kriegsgerät, aller Gewalt und aller Drohung entsagt.
Und der Mensch gewordene Gottessohn lebt dieses Ideal. Und er lebt es so konsequent, dass er dabei selbst unter die Räder kommt und am Kreuz gestorben ist.
Sollten wir das wirklich für Schwäche halten? Wäre uns der Gott, der gewaltig dreinschlägt, wirklich lieber?
Was für ein liebenswerter und wohlmeinender Kerl unser Lehrer damals tatsächlich war, habe ich - haben wir alle leider erst viel zu spät begriffen. Im Blick auf diesen Gott, der nichts anderes als hilfreicher Freund und Bruder sein will, sollte uns nicht der gleiche Fehler unterlaufen.
Amen.
(gehalten am 5./6. Juli 2008 in der Paulus- und Peterskirche, Bruchsal)