Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


3. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr A (Ex 17,3-7)

In jenen Tagen dürstete das Volk nach Wasser und murrte gegen Mose. Sie sagten: Warum hast du uns überhaupt aus Ägypten hierher geführt? Um uns, unsere Söhne und unser Vieh verdursten zu lassen? Mose schrie zum Herrn: Was soll ich mit diesem Volk anfangen? Es fehlt nur wenig, und sie steinigen mich. Der Herr antwortete Mose: Geh am Volk vorbei, und nimm einige von den Ältesten Israels mit; nimm auch den Stab in die Hand, mit dem du auf den Nil geschlagen hast, und geh! Dort drüben auf dem Felsen am Horeb werde ich vor dir stehen. Dann schlag an den Felsen! Es wird Wasser herauskommen, und das Volk kann trinken. Das tat Mose vor den Augen der Ältesten Israels. Den Ort nannte er Massa und Meriba (Probe und Streit), weil die Israeliten Streit begonnen und den Herrn auf die Probe gestellt hatten, indem sie sagten: Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht? (Ex 17,3-7)

"Nicht alles war schlecht..."

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn Menschen so anfangen, dann stellen sich mir mittlerweile schon die Nackenhaare. Mit solch einem oder ähnlichen Sätzen beginnen meist romantisch verklärte Schwärmereien über Zeiten, die häufig gar nicht so viel zum Schwärmen hatten.

Wie oft hört man diesen Satz beispielsweise, wenn Menschen über die ehemalige DDR sprechen. Wie viele Nostalgiesendungen gibt es mittlerweile, die die Vergangenheit im real existierenden Sozialismus gleichsam verklären.

Ich selbst hab' die Wirklichkeit zum Glück - wenn auch ganz am Ende - noch miterlebt, hab' gespürt, wie viel Angst, wie viel innere Not und auch Perspektivlosigkeit tatsächlich da gewesen ist; wenig Grund zum Schwärmen!

Befreiung war es, als die Mauer fiel. Und jeder, der auch nur ein wenig zu denken vermag, kann sich die Zeit davor ernsthaft nicht mehr zurückwünschen.

Das gilt auch für uns. Erinnern Sie sich noch an die 70er Jahre? An die Angst vor einem Atomschlag? Welche Sorgen hatten wir hier denn alle, ob das Wettrüsten der Supermächte nicht doch zu einem Dritten Weltkrieg führen würde - einem Weltenbrand, in dem wir dann endgültig aufgerieben würden!

Nein, ich kann bei solchen Vergangenheitsschwärmereien nicht mit. Von wegen: "Nicht alles war schlecht".

Es friert mich sogar, wenn sich Menschen mittlerweile immer offener trauen, diesen Satz auszusprechen, wenn sie an das Dritte Reich zurückdenken. Und das, wo wir uns dieser Tage daran erinnern, dass in Bruchsal kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Teuer erkauft, das bisschen, das da nicht schlecht gewesen sein soll. Welchen Preis haben viele Familien auch hier am Ort genau dafür bezahlt.

Es ist manchmal ganz gefährlich, dass sich im Nachhinein vieles verklärt. Manchmal macht es auch blind für die Wirklichkeit.

Und es macht auch undankbar.

Man verliert die Dankbarkeit darüber aus dem Blick, dass das Leben bei uns, trotz allem was schief läuft und zu beanstanden ist, leichter, freier, einfacher und auch in vielem gerechter geworden ist.

Aber so ist das halt. Befrei die Menschen, hol sie heraus aus den Gefängnissen und Arbeitslagern und flieh mit ihnen durch die Wüste - und sie werden hinsitzen und ob der Strapazen der Wanderung murren und klagen und sich wieder an die Fleischtöpfe im Sklavenhaus zurücksehnen - Fleischtöpfe, die nur in der Erinnerung warm und groß gewesen sind, die es in Wirklichkeit oft nie gegeben hat.

Gott hat diese Erfahrung schon mit seinem Volk gemacht. Er macht sie immer wieder aufs Neue. Er macht sie auch mit seiner Kirche.

Was war das für ein Aufbruch vor vierzig Jahren, als das Konzil die Fenster in unserer Kirche weit aufgemacht hat. Was für ein Ruck ging durch unsere Gemeinden und hat die Menschen in Bewegung gesetzt. Welche Engen und Grenzen des Denkens haben wir überwunden.

Aber "Nicht alles war schlecht", sagen erneut die Menschen und meinen, dass man sich heute nicht mehr auskenne, dass alle verunsichert seien und die Pfarrer viel zu neumodisch und zu lasch wären. Und meist vertreten das gerade die am vehementesten, die in der oft so beschworenen guten alten Zeit daran, einem Pfarrer zu widersprechen, nicht einmal zu denken gewagt hätten.

Und wie viele haben damals unter einem Gottesbild gelitten, das nur Angst und Furcht verbreitete. Wie viele kamen aus dem Fragen nicht mehr raus, ob sie denn auch ja alles gebeichtet hatten, weil Gott sie sonst sicher strafen würde. Wie viele haben unter all der Enge, die gerade kirchliche Verkündigung verursacht hatte, mehr als nur gelitten.

Natürlich ist heute nicht alles gut. Aber wie sollte es das auch sein. Gott ist mit uns auf einem Weg, auf einem Wüstenweg, auf einem Weg, der noch lange nicht zu Ende ist.

Wäre er das schon, wäre schon alles so, wie es sein sollte, dann wären wir ja bereits am Ziel.

Das aber liegt schon noch in einiger Ferne. Da gilt es schon noch ein gutes Stück weit zu marschieren.

Aber diesem Ziel gehen wir entgegen. Und da hilft der vergangenheitsverliebte Blick zurück nur wenig.

Rasten: ja.

Den zurückgelegten Weg anschauen: völlig in Ordnung.

Jammern: nie.

Und die Vergangenheit, die häufig alles andere als gut - manchmal sogar wirklich ganz übel bis hin zu menschenverachtend - gewesen ist, verklären: um Gottes Willen: nein!

Durchatmen und dann wieder weitergehen, der Zukunft entgegen. An Gottes Hand, auf das Ziel hin, das er ausgemacht hat.

Wir sind nicht im gelobten Land, keine Frage. Aber wir kommen auch nicht aus ihm. Wir alle hier, so wie wir hier sitzen, wir waren noch nie dort. Aber wir gehen darauf zu. Mit jedem Abschnitt des Weges kommen wir ihm näher.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 27. Februar 2005 in der Peterskirche, Bruchsal)