Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Mt 10,26-33)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nicht ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. (Mt 10,26-33)
Neue Brillengläser habe ich bekommen. Meine Augen sind in den letzten zwei Jahren deutlich schlechter geworden. Ob das am PC und der Arbeit am Monitor liege, habe ich den Augenarzt gefragt. Nein, meinte der, das sei eine ganz normale Alterserscheinung. Und als ob das noch nicht Tiefschlag genug gewesen wäre: Als ich dann meinte, wenn sich die Augen wieder verschlechtern würden, dann würde ich mich wieder melden, sagte er ganz bestimmt: "So nicht: In Ihrem Alter, möchte ich Sie jedes Jahr sehen!"
Liebe Schwestern und Brüder,
langsam werde ich offenbar alt. Letztes Jahr zum ersten Mal Krankengymnastik, Gleitsichtgläser...
Ich merk halt schon, dass ich jetzt ganz stramm auf die 50 zugehe. Da gehört man noch nicht zum alten Eisen, aber man beginnt wohl immer häufiger sich so seine Gedanken zu machen.
St. Anton wird 50 an diesem Wochenende. Auch Grund, sich Gedanken zu machen?
Nun, die ersten Wehwehchen sind ja schon da. Die Beleuchtung fällt durch jede Sicherheitsüberprüfung durch, die Heizung ist nicht nur in die Jahre gekommen, sondern kann eigentlich jeden Moment ihren Geist aufgeben und um das Lebensgefühl der Gegenwart zu atmen, müsste sich die Werktagskirche schon langsam mal ins architektonische Fitnessstudio begeben, damit ihr nicht auf halber Strecke die geistliche Puste ausgeht.
Alles nicht neu und alles nicht tragisch, wenn nicht auch, was unsere Kirchen angeht, die "Kosten des Gesundheitswesen" - wie im realen Leben - kaum noch zu schultern wären. Wie soll all das ohne entsprechend finanzielles Polster gemeistert werden?
Ein Blick in die Zukunft - ein Blick voller Sorgen.
Und nicht nur für St. Anton. St. Paul fragt sich nicht minder, wie es wohl weitergehen und welche Rolle der Gemeinde im zukünftigen Gefüge der Pfarreien bleiben wird. Und St. Peter ist noch viel älter, das Dach noch sehr viel maroder und die Kosten um ein Vielfaches höher. Und da soll man dann getrost und frohen Mutes auf das Alter blicken!
Tolle, großartige Perspektiven!
Stimmt! Großartige Perspektiven. Und das jetzt ohne Flachs.
Allen Unkenrufen zum Trotz, haben wir nämlich großartige Perspektiven.
Es ist zwar mittlerweile geradezu schick, all die Dinge, die ich gerade eben auch aufgezählt habe, immer wieder durchzukauen und so lange von einer Seite auf die andere zu wälzen, bis sie sich am Ende als unheimlich dunkle und bedrohliche Gewitterwolken am Zukunftshimmel abzeichnen. Aber solche Wolken sind eigentlich nur dazu da, den Blick in die Ferne zu verstellen, einen Blick auf eine weite Landschaft, die von Licht erfüllt ist, geradezu unmöglich zu machen.
Perspektivlosigkeit wird heute so gerne beschworen und über Zukunftsangst lässt sich so toll philosophieren. Es hat halt was, den Weltuntergang nicht zuletzt für Kirche und unsere Gemeinden in allen düsteren Farben auszumalen. Es liegt einfach im Trend, und es passt halt auch so schön in die gesellschaftliche Großwetterlage, zu allen anderen Berichterstattungen, zu allem - nur nicht zum Glauben an Jesus Christus.
Denn die Perspektiven, die Christus ausmalt, die sehen im Evangelium immer ganz anders aus. Und in der Stelle von heute - in diesem kleinen Text - da nennt er das Wichtigste sogar gleich drei Mal hintereinander. So als wolle er dafür sorgen, dass wir es ja auch unter keinen Umständen überhören.
Sie erinnern sich? Fürchtet euch nicht, hat er gesagt.
Drei Mal hintereinander: Fürchtet euch nicht!
Das konnte er vermutlich schon vor zweitausend Jahren den Menschen nicht oft genug sagen.
Fürchtet euch nicht! Es wird gehen. Und nicht nur gerade so, sondern gut wird es gehen.
Und schauen Sie sich doch um! So wie wir da sitzen, das sieht doch nicht nach Weltuntergang aus! Da kann St. Anton schon nach 50 Jahren von ganz anderen Zeiten berichten. Und St. Peter mit seinen 250 Jahren kann da Geschichten erzählen, da schlackert es uns Junggemüse nur noch mit den Ohren.
Wir haben andere Zeiten durchgestanden, Zeiten, die wirklich von düsteren Wolken geprägt waren. Solche Wolken sehe ich derzeit nirgendwo.
Fürchtet euch nicht. Es wird gut werden. Kopf hoch, denn nichts schadet der Gesundheit mehr als depressive Haltung und Weltuntergangsstimmung.
Das aber ist das einzige, worauf wir wirklich achten sollten! Auf die Gesundheit nämlich - jenseits der 50 ganz besonders. Dafür sollte man im Alter tatsächlich besondere Sorge tragen - jeder für sich und auch eine Pfarrgemeinde. Was die Gesundheit angeht, ist, nein, keine übertriebene Sorge, aber ein gerüttelt Maß an Sorgfalt, ganz klar angezeigt.
Achtzehn sind wir halt keine mehr. Nicht mehr wie Hans Dampf in allen Gassen und rastlos eine Aktion an die andere zu reihen, darauf sollten wir schon achten. Ein wenig mehr Ruhe und ein paar Pausen mehr, die sollten wir uns gönnen. Und auch Gedanken darüber machen, was uns wichtig ist und was nicht, wo wir Abstriche machen sollten und auf was es sich zu konzentrieren gilt. Denn durch die Finger sollte man sich das Leben nicht rinnen lassen.
Bloßer Aktivismus verkürzt das Leben.
Besinnung auf das Wesentliche, auf den spirituellen Kern, auf das, was das Leben trägt und hält, das tut not! Ruhepausen, Zeiten für Stille und Besinnung: Ich muss sie einplanen, damit sie vom Alltag nicht aufgefressen werden, im persönlichen Leben genauso wie im Leben einer Gemeinde.
Und das Herz - das Herz muss ich pflegen. Wer damit Schindluder treibt, hat ganz schnell das Nachsehen.
Und für eine Kirche ist der Gottesdienst - die Messe am Sonntag - der eigentliche Herzschlag, der den Puls für das ganze Leben abgibt. Nur wenn wir nicht auf diesen Herzschlag achten würden, nur dann hätten wir wirklich Grund, uns einige Sorgen zu machen.
So aber liegt die Zukunft weit vor uns, wie ein bestellter Acker, auf dem reifen und wachsen kann, was grundgelegt worden ist.
Natürlich träumt jeder von den vergangenen Jugendjahren. Von all der ungestümen Lebenskraft und den schönen Erinnerungen, die wir mit uns tragen.
Aber mal ehrlich, wollten wir das wirklich alles noch mal erleben, alle Aufbauarbeit, alle Prüfungen, alle Hürden, die es zu überwinden galt?
Jetzt ist die Zeit, in der das Feld bestellt ist und wir uns an all dem erfreuen können, was grundgelegt wurde. Es wächst überall um uns herum. Da wird schon wieder ausgesät und da wird neue Ernte eingebracht. Da pflegen wir Wertvolles aus der Vergangenheit. Und dort wird Platz gemacht für Neues.
Es ist eine Zeit voller Wunder, die vor uns liegt - eine Zeit, in der wir nur eines beherzigen müssen: Das nämlich, was Christus uns heute allein drei Mal zugerufen hat - Fürchtet euch nicht!
Amen.
(gehalten am 18./19. Juni 2005 in den Kirchen der Seelsorgeeinheit St. Peter, Bruchsal)