Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Weihnachten - Am Tag
Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass wir an Weihnachten an alles denken, nur nicht an Weihnachten.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir proben für die Gottesdienste, wir richten unsere Kirchen und Wohnungen her, wir stellen die Christbäume und schließen lange Lichterketten an und wir sorgen für stimmungsvolle Atmosphäre. Wir freuen uns darauf, Weihnachtslieder zu singen, die gewohnten Texte zu hören und unseres Alltags entrückt zu werden.
Wie sagen Menschen so schön: Wenn ich in die Kirche gehe, dann will ich etwas fürs Gemüt, dann will ich innerlich aufgebaut werden, dann will ich nicht auch noch mit den Problemen des Alltags konfrontiert werden - die begegnen mir morgen schon wieder zur Genüge.
Und deshalb sind Bräuche und Traditionen, was den Kirchgang angeht, so ungemein wichtig. Und wenn es um Feste wie Weihnachten geht, dann sind solche Traditionen noch einmal um ein Vielfaches wichtiger.
Dabei geht es an Weihnachten eigentlich zuallerletzt um Tradition. Weihnachten hat nun so gar nichts mit Bewahren zu tun. An Weihnachten geht es absolut nicht um das, was immer schon war. Weihnachten blickt in die Zukunft, Weihnachten ist ein Anfang. Nach Weihnachten sollte nichts mehr so sein, wie es einmal gewesen ist. Dazu ist der Herr in die Welt gekommen, dazu ist Gott Mensch geworden, damit die Welt erneuert werde, damit die Menschen neu mit Gott durchstarten können, damit das, was Gott wirklich wollte, endlich zum Tragen käme.
Gerade an Weihnachten geht es am allerwenigsten um Tradition, an Weihnachten wird die Welt neu. Zumindest mit dem eigentlichen Weihnachten ist das so. Aber das wollen die wenigsten Menschen wirklich hören, an Weihnachten denken die meisten an alles, nur nicht wirklich an Weihnachten.
Ändert sich deshalb so wenig in unserer Welt? Bleibt deshalb so viel, genauso wie es ist, genauso verkehrt, elend und leidvoll? Ändert es sich deshalb so wenig, weil wir im Gottesdienst, in der Feier unseres Glaubens, vor allem neue Kraft suchen, um das, worunter wir Tag für Tag leiden, einfach wieder neu aushalten zu können?
Dabei will uns der menschgewordene Gott doch nicht einfach Kraft zum Aushalten geben. Er hat uns gezeigt, wie miteinander Leben gelingen kann. Er will uns die Kraft geben, unser Leben zu verändern, alles daran zu setzen, dass wir wirklich das Leben haben und es in Fülle haben.
Was wäre denn, wenn wir wirklich beginnen würden, die Botschaft der Weihnacht ernst zu nehmen, wirklich an Weihnachten zu denken, wenn wir dieses Fest feiern.
Dann wäre alle Hektik der Vorbereitung plötzlich zweitrangig. Dann ginge es nicht um Gebäck und Geschenke, um eine Flucht aus dem Alltag, dann ginge es darum, sich füreinander Zeit zu nehmen, diejenigen, die bei der Geschwindigkeit unserer Welt nicht mehr mithalten können - sei es aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheit -, nicht einfach zurückzulassen, sondern ins Leben der Öffentlichkeit zu integrieren.
Dann ginge es plötzlich nicht mehr um die Frage, mit anderen in den Wettbewerb zu treten und dass unsere Unternehmen möglichst viel Gewinn machen. Es ginge nicht mehr um noch mehr Wachstum. Es ginge plötzlich darum, wie wir die Dinge angehen müssen, dass alle zu ihrem Recht kommen, dass alle versorgt sind und jeder und jede einen Platz in dieser Gesellschaft findet, der ihr oder ihm wirklich gemäß ist.
Wenn wir Gottesdienst und Religion nicht als Balsam verwenden würden, der unsere Wunden kühlt, die Beschwerden so weit lindert, dass wir den grausamen Alltag wieder ein paar Tage durchhalten können, wenn wir die Botschaft dieser Tage wirklich in unseren Alltag hineintragen würden, sie hätte die Kraft, diesen Alltag zu verändern.
Gott will nämlich keine Durchhalteparole sein. Gott will der Antrieb für unser Leben, der Motor für eine bessere Welt werden. Wir haben es durchaus in der Hand, wir können unser Leben ganz persönlich und wir können sogar unsere Welt verändern. Wir müssen nur dort, wo wir gerade stehen, wirklich den Anfang machen.
Und das müssen wir uns eigentlich nur trauen.
Ob wir das aber auch wirklich möchten, ob wir die Veränderung, die Gott im Sinn hat, wirklich wollen, ob wir schon so weit sind, dass wir sie auch wirklich wollen, manchmal zweifle ich daran...
(gehalten am 25. Dezember 2010 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)