Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Ostersonntag (Joh 20,1-9)

 

Das Ettenheimer Heilige Grab 2023

In der Stadtpfarrkirche steht dieses Jahr das Heilige Grab. Was für ein seltenes Ereignis. Und dieses Jahr ein ganz besonderes! Dieses bedeutende Kunstwerk ist frisch renoviert!

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie alle haben dieses Bild vor Augen. Eine richtige barocke Theaterkulisse. Und auf der Bühne steht die Darstellung des letzten Abendmahles.

Nur das ist blöd. Denn die gehört da eigentlich heute gar nicht hin. Früher wurden diese Bilder nämlich gewechselt. Und zwar entsprechend des jeweiligen Tages der Karwoche. Nach dem Gründonnerstag wurde das Bild der Kreuzigung aufgestellt und heute am Ostersonntag müsste da eigentlich die Auferstehung zu sehen sein.

Es steht aber immer noch das Abendmahlsbild - und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die beiden anderen Bilder nämlich sind verloren gegangen.

Die Auferstehung ist verloren gegangen.

Für mich ist das ein wirklich treffendes Bild für die gegenwärtige Stimmung in unserem Land. Denn vielen ist augenblicklich ja nicht wirklich nach Halleluja zumute. Manchem bleibt der Osterjubel im Hals stecken. Das Gefühl von Auferstehung ist bei vielen verloren gegangen.

Geblieben ist das Grab. Dieses Bild umschreibt wohl am besten die augenblickliche Stimmung. Und wie sollte es auch anders sein, wenn Tausende sterben, weil ein durchgeknallter Machthaber aus dem Ruder gelaufen ist, wenn Millionen auf der Flucht sind, weil überall die Konflikte der Mächtigen auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden, der Wohlstand von wenigen die Perspektivlosigkeit der Massen bedingt und unsere Unvernunft im Umgang mit den Ressourcen der Erde immer mehr Regionen unbewohnbar macht?

Ich kann verstehen, wenn viele Menschen sich da die Frage stellen, wie man da noch von einem guten Gott sprechen könne, der das Wohl aller Menschen möchte, geschweige denn in Osterjubel ausbrechen oder von Erlösung faseln. Ich kann es verstehen, denn mir geht es ja nicht anders!

Aber ich soll Ihnen heute doch etwas von der Osterfreude erzählen. Und wo kämen wir da hin, wenn selbst die Pfarrer keine Antworten mehr wüssten, geschweige denn irgendwelche Zweifel hätten. Denn das haben wir alle ja in langen Jahrzehnten gelernt: Zweifel dürfen nicht sein. War Zweifel nicht sogar eine schwere Sünde? Und haben nicht alle, die am Zweifeln waren, gelernt, denselben zu verstecken, sehr gut zu verbergen und sich ja nichts anmerken zu lassen? Und hatte Kirche nicht für jede noch so existentielle Frage, nicht wenigstens einen Bibelspruch zu Hand, mit dem man alle Zweifel wunderschön zukleistern konnte? Oder irgend eine letztlich inhaltsleere Floskel, die am Ende jeden Widerspruch schon im Keim erstickte?

Vertröstung, davon habe ich viel erlebt, aber wirkliche Antworten auf all die drängenden Fragen, die Menschen bis ins Mark erschüttern, Antworten waren da nur selten dabei.

Vielleicht erlebe ich deshalb selbst in so vielen Gottesdiensten, die ich in letzter Zeit besuche, so viele nichtssagende Einführungen und phrasenhafte Predigten.

Wie oft wird da davon gesprochen, wir seien jetzt hier, begegnen Christus, und der stärkt uns und macht uns froh. Und ich blicke mich um und schaue in Gesichter, die von allem anderen zeugen nur nicht von Stärke und Freude, geschweige denn von Zuversicht und Erlösung.

Als ob es weiterhelfen würde, Dinge einfach zu behaupten und zu postulieren, die offenbar kaum jemand wirklich spürt. So etwas hätte nicht einmal Jesus von Nazareth geholfen. Am Kreuz war aller Lobpreis erstickt.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" hat er gebetet. Keinen Hymnus - ein Klagelied. Denn selbst Jesus von Nazareth ist da an seine Grenzen gekommen, hat kein Licht am Ende des Tunnels gesehen und war all seiner Zuversicht ledig.

Für mich ist das heute ungeheuer wichtig. Das darf ich nämlich auch für mich von ihm lernen: Mein Nichtverstehen, meine Fragen und meine Zweifel die haben nämlich nicht nur ihren Platz, sondern auch ihre Berechtigung.

Selbst Jesus von Nazareth ging es nicht anders. Denn solche Gefühle gibt es, die gibt es für jede und jeden, die gehören zum Menschsein offenbar dazu.

Manchmal kann man nicht anders. Da ist dann, wie beim Ettenheimer Heiligen Grab, die "Auferstehung" verloren gegangen. Manchmal ist es ganz einfach so. Manchmal stehe ich einfach mit leeren Händen da.

Beim Blick auf unser Heiliges Grab finde ich da einen Umstand aber ganz besonders tröstlich. Ich finde es unheimlich schön, dass auch die Kreuzigung verloren gegangen ist.

Geblieben ist nur das Abendmahl. Und daran will ich mich heute halten, Vielleicht ist das noch das einzige was hilft.

Jetzt aber nicht schon wieder irgendwelche theologischen Überhöhungen. Ich denke jetzt weder an Sakrament und schon gar nicht an eine wie auch immer geartete Opferfeier oder gar die Erfüllung irgendwelcher Kirchengebote.

Ich denke an das, was auf diesem Bild dargestellt ist: An die Jünger, die an diesem Abend zusammen waren - voller Zweifel, voller Angst und sogar voller Verzweiflung. Da war nicht wirklich viel von Zuversicht und Hoffnung zu spüren. Aber sie waren beisammen. Sie konnten sich aneinander festhalten. Und zwar wirklich aneinander: einer am anderen - an diesem Jesus und er an ihnen!

Das Bild davon ist am Ettenheimer Heiligen Grab übrig geblieben. Denn manchmal ist es genau das, was bleibt. Manchmal ist dieses 'nicht alleine zu sein', sich aneinander festhalten können, manchmal ist das tatsächlich noch das einzige was am Ende hilft.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 9. April 2023 in den Kirchen St. Marien, Ettenheim-Ettenheimweiler und St. Bartholomäus, Ettenheim )